Immer wieder treffen behinderte Menschen im Alltag auf Barrieren. Die EU will dagegen nun vorgehen. Foto: picture alliance/dpa/Marijan Murat

Die EU-Staaten hinken bei der Umsetzung der Barrierefreiheit hinterher. Nun macht das Europaparlament Druck.

Eine Behinderung kann jeden Menschen treffen, von einem Tag auf den anderen. Denn nur ein Bruchteil der Behinderungen ist angeboren, die meisten werden im Laufe des Lebens erworben. In Deutschland gelten fast acht Millionen Menschen als Schwerbehindert, das sind beinahe zehn Prozent der Bevölkerung. Und dennoch ist im Alltag die Umwelt nicht immer behindertengerecht gestaltet.

Viele Lippenbekenntnisse in den EU-Staaten

Die EU will das in den nächsten Jahren ändern. Damit es in den Mitgliedstaaten nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleibt, fordert das Europäische Parlament nun ein spezielles Zentrum, das die Länder unterstützen soll, die angestrebte Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung umzusetzen. Langfristig soll eine EU-Agentur aufgebaut werden und es sollen auch eigene Gesetzesvorschläge eingebracht werden können, erklärt Katrin Langensiepen (Grüne). Die Grünen-Politikerin ist selbst eine von wenigen Abgeordneten mit einer Behinderung im EU-Parlament.

Sie fordert, dass das geplante Zentrum auch mit den nötigen finanziellen Mitteln und dem entsprechendem Personal ausgestattet wird. „Die Mitgliedstaaten hinken seit Jahren hinterher, wenn es um die Umsetzung von Barrierefreiheit geht“, kritisiert Katrin Langensiepen. Bereits im Juni hatte die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und 23 andere Mitgliedstaaten eingeleitet. Damit will die Kommission die Regierungen dazu bewegen, den bereits vor Jahren verabschiedeten europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit zeitnah in nationales Recht umzusetzen.

Barrierefreiheit bringt für alle Vorteile

Im sogenannten European Accessibility A ct wird darauf hingewiesen, dass eine barrierefreie Umwelt allen Menschen Vorteile bringt. Jeder, der sich schon einmal ein Bein gebrochen hat oder mit einem Kinderwagen vor einer Treppe steht, kenne solche situationsbedingten Einschränkungen.

Auch müsse berücksichtigt werden, dass die Gesellschaft insgesamt aufgrund der demografischen Entwicklung immer älter werde und sich etwa Stadt- und Gebäudeplaner auch darauf einstellen müssten.

Viele Unternehmen müssen umdenken

Die Bandbreite des European Accessibility Act, bei dessen Umsetzung fast alle EU-Staaten seit Jahren hinterherhinken, bezieht sich allerdings nicht nur auf bauliche Maßnahmen. Gefordert wird eine behindertengerechte Bedienung von digitalen Endgeräten, öffentlichen Selbstbedienungsterminals und auch bei Dienstleistungen etwa von Banken. Und wieder wird darauf hingewiesen, dass Untertitel zum Beispiel bei einem erklärenden Video nicht nur für Gehörlose von großem Vorteil sind.

Katrin Langensiepen hat in den Fragen der Barrierefreiheit inzwischen offensichtlich etwas die Geduld verloren. Zu oft habe sie gehört, dass man bei der Umsetzung der Vorgaben noch etwas warten müsse, erklärt sie. Ihr Fazit: zu viele öffentliche Einrichtungen und auch private Unternehmen hätten die Relevanz und die gesellschaftliche Tragweite schlicht noch nicht erkannt.