Runterschalten und Tee trinken– vor Jahren noch wurde Fasten von vielen belächelt. Foto: stock.adobe.com/smspsy

Für viele Menschen heißt es von Aschermittwoch an wieder: kürzertreten und fasten. Die Kultur der Unterbrechung, sagen die Fastenexperten Raimund und Leonard Wilhelmi, sei uns auf vielen Ebenen abhandengekommen.

Einst war das Fasten umstritten, es wurde belächelt. Heute gilt es als hip, eine Weile bewusst zu verzichten. Studien legen zudem gesundheitsfördernde Effekte nahe. Zwei, die sich mit dem Thema auskennen, sind Raimund Wilhelmi und sein Sohn Leonard Wilhelmi. Ihr Vorfahr Otto Buchinger entwickelte das Heilfasten und gründete 1953 seine Fastenklinik am Bodensee. Sie hat Weltruf, lockt Prominenz und ist bis heute in Familienhand.

Guten Tag, die Herren Wilhelmi. An Aschermittwoch beginnt traditionell die Fastenzeit. Ist der Tag in Ihrem Kalender rot markiert?

Raimund Wilhelmi: Man merkt es schon, dass viele versuchen, Verzicht zu üben. In Deutschland sind es bis zu vier Millionen, die sich bis Ostersonntag in irgendeiner Form von Askese üben. Wir sind mit der Klinik aber längst ein Ganzjahresprojekt.

Fasten wurde lange als Spinnerei abgetan. Hat Sie das geärgert?

Leonard Wilhelmi: Für mich ist es von klein auf selbstverständlich, dass man fastet. In der Schule habe ich aber gemerkt, dass das nicht üblich war, dass meine Mitschüler das sogar ziemlich komisch fanden. Unter „Fasten“ hat man sich damals vorgestellt, dass sehr dicke Menschen auf den letzten Drücker versuchen, ein paar Pfunde loszuwerden . . .

Raimund Wilhelmi: . . . und es galt als umstritten. Der „Spiegel“ hat in den 80er Jahren „Gefährliches Fasten“ getitelt. Inzwischen werden wir nicht mehr belächelt. Fasten ist im Mainstream angekommen. Denn viele Studien belegen die positiven Auswirkungen auf Körper und Geist. Der Verzicht auf feste Nahrung hilft etwa bei Diabetes und Rheuma sowie gegen Bluthochdruck.

Leonard Wilhelmi: Wir forschen an der Klinik auch selbst dazu. Mit der Berliner Charité etwa haben wir den weltgrößten Fastenreport veröffentlicht. Zu uns ins Labor kommen Forscher und Mediziner aus aller Welt.

Auch zwei Drittel Ihrer Patienten sind aus dem Ausland.

Raimund Wilhelmi: Wir nennen sie eigentlich Gäste – und haben in der Tat ein internationales Publikum. Jedes Jahr kommen etwa 6000 Menschen zu uns an den Bodensee und in unsere zweite Klinik in Südspanien.

Sie zahlen dann viel Geld dafür, nichts zu essen. Das Basispaket für eine Woche kostet um die 3000 Euro. Doch widerspricht Nahrungsverzicht nicht unserer Natur, die aufs Überleben gepolt ist?

Leonard Wilhelmi: Im Gegenteil. Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, jahrzehntelang jeden Tag drei Mahlzeiten plus Snacks zu konsumieren. Das ist erst seit schätzungsweise 70 Jahren üblich. Einst folgten auf Völlerei lange magere Phasen. Der Körper braucht Pausen.

Raimund Wilhelmi: Die Kultur des Innehaltens ist uns auf vielen Ebenen abhandengekommen. Unser Leben ist von einer unglaublichen Hektik geprägt.

Und der entkommt man durchs Fasten?

Raimund Wilhelmi : Es stößt heilsame Prozesse an. Man kommt zur Ruhe, zu sich, zurück in einen natürlicheren Rhythmus. Das spüren immer mehr Menschen.

Viele haben das Intervallfasten für sich entdeckt, wo man täglich Essenspausen einlegt. Was halten Sie davon?

Raimund Wilhelmi: Das ist eine der effektivsten Formen, Gewicht zu halten. Auch ich praktiziere es regelmäßig.

Fasten einst und heute: Bemerken Sie Veränderungen? Etwa bei Erwartungen und Ansprüchen?

Leonard Wilhelmi: Früher kamen mehr Gäste mit gesundheitlichen Problemen wie Übergewicht, heute sind sie jünger und fitter. Das Gesundheitsbewusstsein ist generell gestiegen – und Fasten durch die Coronakrise für viele eine Therapiemöglichkeit geworden. Heutzutage fastet man aber nicht, um schlanker und schöner zu werden, sondern um sich eine Auszeit zu nehmen. Es geht darum, Körper und Geist wieder auf null zu stellen. Wir haben uns schon immer als Mix aus Privatklinik, Fünf-Sterne-Hotel und Kloster begriffen. Inzwischen steht bei vielen aber das Klösterliche im Mittelpunkt.

Corona hat mehr Digitalisierung und das Homeoffice gebracht. Merken Sie Auswirkungen auf Ihren Betrieb?

Leonard Wilhelmi: Während der Pandemie wollten einige unsere Gäste daheim betreut werden. Daher bieten wir nun im Online-Shop eine Fastenbox für alle an. Und wir haben eine App, wo wir Informationen teilen und eine digitale Fastenbegleitung anbieten. Dort sind viele Infos über das Heilfasten abrufbar.

Fasten sie nun auch selbst?

Raimund Wilhelmi: Ja, vor Ostern vier Wochen lang, wie jedes Jahr. Im Herbst dann noch mal zwei Wochen.

Leonard Wilhelmi: Zeitlich passt für mich der Jahresbeginn besser. Und Juni – da sehe ich dann pünktlich zu meinem Geburtstag wieder frischer aus. (lacht)

In vierter Generation

Zur Person
 Raimund Wilhelmi (73), eigentlich Jurist, leitete die Buchinger-Wilhelmi-Klinik in Überlingen am Bodensee fast 40 Jahre lang. Gegründet hat sie sein Großvater, der Marinearzt Otto Buchinger (1878–1966), der um 1920 das Heilfasten entwickelte. 2019 gingen die Geschäfte an Wilhelmis Sohn Leonard Wilhelmi (35) über. Der Betriebswirt und zertifizierte Fastenleiter führt die Klinik in vierter Generation.

Heilfasten
 Es gibt die unterschiedlichsten Formen des Fastens. In Europa am verbreitetsten ist das Heilfasten. Dabei verzichtet man sieben bis 28 Tage lang auf feste Nahrung. Auf einen Entlastungstag, etwa mit Reis, folgt eine vollständige Darmentleerung. Danach gibt es nur Wasser, Kräutertee sowie je 0,25 Liter Gemüsebrühe und Obst- oder Gemüsesaft. Zum Fastenbrechen eignet sich ein Apfel. Im Anschluss muss sich der Körper durch Aufbautage langsam wieder an feste Nahrung gewöhnen.