Mit Bob Dylan und Rico im Odeon: Die Gitarristin Barbara Gräsle verabschiedet sich von der Sindelfinger Schule für Musik, Theater und Tanz (SMTT). Ihr Konzert zum Ausstand belegt, warum sie fehlen wird – und warum man sich für sie freuen kann.
Nahezu 100 Gitarren-Liebhaber finden sich am Sonntagabend im Odeon der SMTT ein, um eine Saitenmeisterin par excellence zu erleben – die damit ihren Abschied gibt. Barbara Gräsle, Fachbereichsleiterin für Zupfinstrumente, sagt Adieu auf ihre Art. Gräsle will sich künftig ausschließlich ihrer Konzerttätigkeit widmen – davor lässt sie die Saiten sprechen.
Mit der Weltsprache Musik entführt sie zunächst nach Brasilien, wo Heitor Villa-Lobos (1887-1959) im vergangenen Jahrhundert mit „Prélude No.1“eines der schönsten Konzertgitarren- Stücke im südamerikanischen Raum komponiert hatte.
Eine Gitarre namens Rico
Wunderbar schwebend und dennoch mit Tiefgang dargeboten, erreicht Gräsle das Publikum im Handumdrehen, bevor „Sons de Carilhoes“ von Joao Pernambuco (1883-1947) fröhlich und verspielt selbiges umgarnt.
Gräsle zupft diese beiden Intro-Titel auf ihrer Konzertgitarre Rico, einer ihrer sieben Schätze, die bei ihr alle Namen erhalten haben. Natürlich dürfen Joe, Gonzo oder Kitty ebenfalls noch zeigen was sie draufhaben, oder besser gesagt was die Gitarristin ihnen zu entlocken vermag.
Dass das nicht ohne ist, ist bereits nach diesem Einstieg ohren-scheinlich. Sie liebt und lebt ihre sieben Gitarren, von denen an diesem Abend vier mit auf die Bühne durften, sowie ein Gitarren-Banjo, welches sich in Geduld üben muss.
Zunächst sind die Western-Gitarren in verschiedensten Ausführungen dran. Die werden je nach Stück durch Drehen an den Wirbeln auch in andere Stimmungen versetzt, um stilistisch authentische Sounds zu erzeugen. Das ist beim traditionellen wehmütigen irischen Harfenstück „Sheabag and Sheemore“ genauso der Fall wie auch beim Leo Kottke-artigen „Gigbag“ und „Spiderwheel“ von Ulrich U. Warnecke (Jahrgang 1966).
Exklusive Gitarren aus Bayern
Eine Besonderheit ist hier der Einsatz eines „Spider Capos“, bei dem auch nur einzelne Saiten auf dem Gitarrenbund abgedrückt werden können. Das ermöglicht, Gitarrenkenner wissen es, auch unterhalb des Capos Melodielinien zu spielen. Gräsle erweist sich ein weiteres Mal als Gitarrenforscherin, die alle Möglichkeiten ausschöpfen will, die ihr Instrument hergibt.
Seit Jahren verlässt sie sich ausschließlich auf die Instrumente, die der Gitarrenbauer Joe Striedel aus dem bayrischen Wolfratshausen eigens für sie baut, verrät sie im Gespräch nach dem Konzert. Und zwischen den einzelnen Nummern erklärt sie mit Hingabe ihre wohlklingenden Instrumente und weist auf die Qualitäten von Gitarrendecken aus Ahorn-, Zwetschgen- oder Apfelholz hin. Warum sind die Bünde bei Gonzo schräg angebracht? Warum hat eine andere Gitarre neun Saiten? Diese und weitere Fragen werden im Laufe des Konzertes beantwortet. Die Lehrerin lässt sich eben nicht verleugnen, doch die „Schüler“ dieser „Abendschule“ sind froh, so viel Wissenswertes mitgeliefert zu bekommen.
Gräsle, die mittlerweile in Schwaikheim lebt, wurde bereits im Alter von 16 Jahren von ihrem Vater täglich von Aidlingen zur Musikhochschule nach Stuttgart gefahren nachdem ihr Talent offenbar geworden war. Die daraus entwachsene Klasse spiegelt sich während des gesamten Konzertes wider. Für die anspruchsvollen Kompositionen und Arrangements sind höchste Präzision und Dynamik erforderlich, was Gräsle mit einem Lächeln im Gesicht locker meistert.
Auch Bob Dylan ist dabei
Auf der Reise durch die verschiedensten Gitarrenstile kommt sie mit einem Sprung in die USA auch nicht an einem Bob Dylan-Arrangement oder am „Whistling Milkman“ von Dave Evans (geboren 1952) vorbei. Bei letzterem darf das Banjo den Ton angeben. Mit Craig Dobbins‘ (geboren 1957), „Luayne“ und „Julie“ kommt schließlich noch ein Bottleneck zum Einsatz bevor es in die Pause geht.
Danach landet das Gitarren-UFO in Spanien, vermutlich nahe der Alhambra. „Recuerdos de l’Alhambra“ von Francisco Tarréga (1852-1909) demonstriert einen gänzlich andern Zupfstil als die vorangegangenen Stücke. Nach knapp zwei Stunden Reise mit variationsreichen Spieltechniken biegt Gräsle in die Zielgerade ein. Die lautstark geforderte Zugabe belegt, dass das internationale Gitarrenhappening bestens angekommen ist.