Warum kann man Kinder nicht einfach so fotografieren, wie sie sind? Das fragt sich unsere Autorin Lisa Welzhofer beim Anblick all der Babys, die in Holzkisten drapiert und mit Blumengebinden bekränzt werden.
Das Foto sorgt zuverlässig für Heiterkeit in der Familie: Wie eine kleine Staatsmännin sitzt die fünfjährige Tochter auf ihrem Hocker mit Quastenbehang, den Rücken durchgedrückt, die Hände übereinander in den Schoß gelegt. Fehlt nur noch die Raute. Um sie herum hat der Kindergartenfotograf allerhand Tand drapiert: Cremefarbene Knüpfteppiche liegen auf dem Kieselsteinboden, weißgeklöppelte Poufs und geflochtene Bodenwasen mit braunen Federpuscheln stehen herum, im Hintergrund baumelt vom Baum eine Stange mit Makramee-Behang.
Der wunderbar verwachsene Sommergarten der Kita wurde für die Fotosession zugerümpelt mit dem, was als Boho-Chic in Baumärkten und auf Discounter-Wühltischen für all jene feilgeboten wird, die sich den Style der Instagram-Influencerinnen mit Wohnsitz Dubai ins Reihenhaus holen wollen. Das ist so absurd, dass es schon wieder sehr lustig ist. Trotzdem mal ganz ernst gefragt: Was bitteschön soll das?
Das Kind als Statussymbol
Kinderfotografie, das ist ja überhaupt ein schwieriges Feld. Da werden Neugeborene mit Hasenohren und Blumengirlanden bekränzt, in Schmuckkästlein und Eimerchen gefaltet, mit Minigeigen und – fußbällen präsentiert (schlummern da etwa schon die neuen Ann-Sophie Mutter oder ein Cristiano Ronaldos Nachfolger?), als Bündel verschnürt oder in florale Gebinde gesteckt. Die Metapher wie ein Holzhammer: Das Kindlein als Preziose und Statussymbol, aber auch als erblühendes Wunder der Natur, Teil des ewigen Kreislaufs von Werden und Vergehen. Vorbild scheint dabei die australische Fotografin Anne Geddes, deren Fotos von Babys, die aus Kohlköpfen lugen, in Schmetterlingskokons schlummern oder als Bienen Blüten bestäuben, in vielen Millenialmädchenzimmern hingen.
Nun ist die Fotografie – wie jede Kunst – eine Frage des Geschmacks. Aber man darf sich schon wundern, warum die natürliche Schönheit und Putzigkeit alles Kindlichen in diese unnatürlichen Dekorationen gepresst – und damit irgendwie überlagert – werden muss. Eine besonders merkwürdige Blüte sind die noch dazu recht unnachhaltigen „Cake Smash Shootings“, bei denen Babys in Mini-Abendkleidern in bunten Torten herummatschen.
Sicherlich steckt dahinter auch der Wunsch der Eltern, diesen besonderen Abschnitt im Leben auf besondere Weise festzuhalten, ebenso der Drang selbige zu verklären. Die Bilder vom Säugling im Tutu auf Rosenteppich oder vom Kindergartenkind inmitten verschütteter Gummibären erinnern halt nicht sofort an überquellenden Windeln und Brustentzündungen, sondern lässt das zuckersüße Glücksgefühl der frischen Elternschaft zurückkehren. Dazu passen denn auch die Fotos von Schwangeren in Abendkleidern mit Schleppen und Rüschen auf Waldwegen und in Blumenwiesen. Ein letztes modisches Aufbäumen, bevor dann für viele Jahren die Mutti-Kluft Jogginghose- Outdoorjacke- Wickeltasche übernehmen wird.
Wohltuend nüchtern kommt da seit ein paar Jahren ein Trend daher: Bei der dokumentarischen Wochenbett- und Familienfotografie begleitet die Kamera Kinder und Eltern ein paar Stunden lang im schön-chaotischen Alltag zuhause. Nichts wird umgeräumt, dekoriert, niemand in Tüll gehüllt. Das prall-echte Leben können natürlich auch diese Fotos nicht gänzlich abbilden, aber nah heran rücken sie schon. Und spielt sich dieses im Makramee-Boho-Ambiente ab, dann ist es in eben so.