Novak Djokovic will in Melbourne spielen – für viele ein Skandal. Foto: dpa/Dave Hunt

Novak Djokovics Ausnahmegenehmigung für eine Teilnahme an den Australian Open erhitzt die Gemüter. Die Reaktionen Down Under bewegen sich zwischen Unverständnis und Wut. Zudem gibt es offenbar Probleme mit dem Visum für den Serben.

Frankfurt am Main - Noch bevor Novak Djokovic überhaupt einen Fuß auf den fünften Kontinent gesetzt hatte, schlug dem neuen „Bösewicht“ Australiens schon blanke Wut entgegen. „Kranke Heuchelei“, eine „schallende Ohrfeige“ und eine „Beleidigung für jeden Australier“ – der mediale Aufschrei über die Ausnahmegenehmigung für den Tennisstar war gewaltig. Und als der Serbe kurz vor Mitternacht in Melbourne landete, sorgte sogleich ein falsches Visum für Probleme.

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Wie die Zeitung The Age berichtete, versuchte Djokovic mit einem Visum einzureisen, das keine medizinischen Ausnahmen für ungeimpfte Personen zulässt. Doch mit genau einer solchen medizinischen Ausnahmegenehmigung will der Titelverteidiger beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres (ab 17. Januar) auf Rekordjagd gehen. Und da die Regierung des Bundesstaates Victoria Unterstützung zur schnelleren Klärung des Problems ablehnte, wie Sportministerin Jaala Pulford auf Twitter klarstellte, verzögerte sich Djokovics Einreise.

Der Start der ganz offensichtlich ungeimpften Nummer eins der Welt bei den Australian Open ist Down Under längst zu einem Politikum auf allerhöchster Ebene angewachsen. Sogar Australiens Ministerpräsident Scott Morrison ließ öffentlich Zweifel an der Grundlage für die medizinische Ausnahmegenehmigung durchblicken. „Wenn diese Beweise nicht ausreichen, dann wird er nicht anders behandelt als alle anderen und sitzt im nächsten Flugzeug nach Hause“, sagte der Regierungschef am Mittwoch auf einer Pressekonferenz.

Turnierboss steht gewaltig unter Druck

Damit sprach er seinen Landsleuten, die während der Corona-Pandemie durch zahlreiche strikte Lockdowns und strenge Einreiseregelungen selbst für Einheimische immense Entbehrungen hinnehmen mussten, aus der Seele. „Für Novak Djokovic sollte es überhaupt keine Sonderregelungen geben. Überhaupt keine“, sagte Morrison – und brachte damit auch Craig Tiley, Turnierdirektor der Australian Open, in Erklärungsnot.

„Niemand wurde besonders begünstigt, es gab keine Sonderbehandlung für Novak“, verteidigte sich Tiley und wusch seine Hände in Unschuld. Schließlich hätten zwei vom Bundesstaat Victoria und Tennis Australia unabhängige medizinische Expertengremien in Unkenntnis von Namen dem Weltranglistenersten die Sondergenehmigung für den Start bei den Australian Open erteilt. Ohne Ausnahmeerlaubnis dürfen dort nur vollständig geimpfte Profis aufschlagen. 

Und doch forderte der Turnierboss – auch gezwungen durch den großen öffentlichen Aufschrei – Djokovic dazu auf, die Hintergründe offenzulegen. „Es wäre sehr hilfreich, wenn Novak erklären würde, auf welcher Grundlage er die Ausnahmegenehmigung beantragt und erhalten hat“, sagte Tiley.

Großes Unverständnis in der Bevölkerung

Die Kriterien für eine solche Sondererlaubnis sind äußerst streng, sodass eigentlich nur schwer kranke Menschen von der Impfpflicht ausgenommen werden – etwa wegen Herzproblemen oder gravierenden Operationen in jüngster Vergangenheit. Auch eine Corona-Infektion in den vergangenen sechs Monaten berechtigt zu einer medizinischen Ausnahmegenehmigung. 

Von Djokovic ist öffentlich aber nur eine Infektion aus dem Sommer 2020 bekannt. Seinen Impfstatus hatte der 34-Jährige, der sich in Melbourne zum alleinigen Grand-Slam-Rekordchampion krönen will, nie veröffentlicht.

Das Unverständnis in der australischen Bevölkerung – Zuschauer dürfen übrigens nur vollständig geimpft in die Stadien – über die Ausnahme für den besten Tennisspieler der Welt ist schon jetzt riesig, der Blick in die Gazetten gab ein gutes Stimmungsbild ab. „Regeln sind Regeln – es sei denn, man ist reich und berühmt wie Djokovic“, schrieb die Zeitung The Age. 

Sam Groth spricht von „kranker Heuchelei“

Die Courier Mail titelte „You must be Djoking“ (übersetzt: Das soll wohl ein Scherz sein), und die Canberra Times beschrieb die Gefühlslage der Australier: „Entsetzt, vielleicht. Wütend, ja. Frustriert, enttäuscht, angewidert, mit dem Gefühl, dass wir alle gerade eine schallende Ohrfeige bekommen haben.“

Der ehemalige australische Tennisprofi Sam Groth sprach in einer Kolumne für Herald Sun von „kranker Heuchelei“. Djokovics Teilnahme an den Australian Open sei „eine Beleidigung für jeden Australier, der wegen COVID durch die Hölle gegangen ist“. 

Und The West Australian schrieb Djokovic bereits eine filmreife Rolle für das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres zu. „Der Djoker“, kommentierte das Blatt, „hat sich in den Joker verwandelt und sich schamlos die Rolle des Bösewichts zugewiesen, bevor er seinen Versuch startet, die Tenniswelt zu beherrschen.“