Künstler-Trio im Alten Amtsgericht (von links): Martin Spengler, Yongchul Kim und Ivetta Karnelik Foto: Eibner/Drofitsch

Aus zahlreichen Schichten von Wellpappe bestehen Martin Spenglers schwergewichtige und zugleich filigrane Bildobjekte im Kabinett. Zu seinen Arbeiten gesellen sich farbgewaltige Ölbilder und Grafiken des Senkrechtstarters Yongchul Kim in der Schleuse 16 und von Ivetta Karnelik im Projektraum, die sich mit ihrer Rolle als Künstlerin und Mutter befassen.

Dass die Kunstvereinsmitglieder Martin Spenglers Arbeiten zu dritt ins Kabinett hieven mussten, sieht man ihnen nicht an. So kleinteilig und zeichnerisch leicht wirken die ausgeschnittenen Partien seiner reliefartigen Arbeiten in der Schau „Wandlung der Dinge“, die Kathedralen, Parkhäuser und das Häusergewirr von Großstädten darstellen. Mit ihren zahlreichen Schichten aus Wellpappe, die von einer weißen, stabilisierenden Grundierung überzogen und mit Grafit koloriert sind, bahnen sie sich aber zum Teil fast 20 Zentimeter dick ihren Weg in den Raum. Oder sie gleichen von vornherein säulenartigen Skulpturen. Spengler nennt die vielen Schichten auch liebevoll „Panzerplatten“, die sich mancherorts haptisch eindrücklich in einem abstrakten Pappgekräusel auflösen.

1974 in Köln geboren und an den Kunstakademien in Bremen und München ausgebildet, wird Spengler inzwischen national und international ausgestellt. In seinen staunenswerten Arbeiten verzerrt und überzeichnet er die Perspektive: Sein Kölner Dom mit seinem unendlichen Geflecht an gotischem Zierrat wirkt wie ins Vertikale zusammengezurrt. Für sein Verfahren zeigen sich aber auch die repetitiven Strukturen von Parkhäusern geeignet. In anderen Arbeiten mit Einblicken in ein Treppenhaus spielt er mit Räumen, Spiegelungen, optischen Täuschungen und Bildern in andere Welten.

Yongchul Kim gilt als Senkrechtstarter

Mit Martin Spengler und Yongchul Kim war der Kunstvereinsvorsitzende Günter Baumann schon mehrere Jahre im Gespräch für eine Ausstellung. Corona hat sie aber verhindert. Kim hätte er gern in die Galerie Schlichtenmaier Dätzingen aufgenommen, zu deren Mitinhabern Baumann gehört. Nun vertritt aber die Galerie Fuchs den Künstler. In Kims surrealen Ölbildern der Schau „Feld in der Fremde“ scheint sich alles in Auflösung zu befinden: Eine weibliche Figur im Bild „Grenze“ ist kaum noch im Farbgestöber auszumachen, der Kopf eines Vogels verschwindet in weißem Rauch, und auf dem Gemälde „Grünes Kaninchen“ ist nur das Tier intakt. Der Körper des Sitzenden geht in Pinselstrichen, welche die Glieder wie Schalen formen, auf. Man könnte es freilich auch andersherum sehen: „Das ist eine Auflösung und auch ein Entstehen“, sagt Ivan Zozulya, künstlerischer Beirat des Kunstvereins.

Yongchul Kim kommt ursprünglich aus Yeonsu in Südkorea, studierte zunächst dort und von 2014 bis 2020 an der Akademie der Bildenden Künste in der Klasse Carola Güdemann, wo er sein Studium abschloss. Heute arbeitet er in Stuttgart, erfreut sich aber schon internationaler Bekanntheit. In der Schleuse 16 sind auch politische Bilder von Kim zu erleben: neben dem Bild der möglicherweise toten Frau an der Grenze zum Beispiel das Konterfei von Donald Trump, das mit einer gelben Nase inmitten der aggressiv orange-roten Pinselzüge hervorsticht. Außerdem ist die Chemnitzer Monumentalskulptur von Karl Marx mit seiner breiten, sorgenvollen Stirn zu sehen, die sich desillusioniert im Spiegel einer Wasserfläche mit feurigem Kolorit aufzulösen scheint. Diese schuf Kim anlässlich der Chemnitzer Proteste von Rechtsextremen.

Intime Selbstbildnisse

Die Dritte im Bunde der Ausstellenden ist die aus Moskau stammende Ivetta Karnelik, die an der Stuttgarter Kunstakademie bei Alisa Margolis und Jörg Mandernach studierte. Einige ihrer Arbeiten entspringen ihrer Diplomarbeit. „Es war uns auch ein Anliegen, russische Künstler sichtbar zu machen, die gegen den Krieg sind“. sagt Ivan Zozulya.

In Karneliks Ölbildern spiegelt sich der Spagat zwischen Mutterschaft und Künstlerleben wider, besonders in der Corona-Zeit. Die Ausstellung heißt dann auch „Vom Muttersein und Kunst“ und zeigt intime Selbstbildnisse Karneliks mit ihren Kindern, die von großer Nähe künden. Aber die Figuren starren auch mal mit rätselhaftem Blick ins Leere oder haben trotzig die Arme verschränkt.

Die Figurenumrisse erscheinen oft einprägsam blockhaft reduziert, und im Bild „Vertrautheit“ hat sie eine liegende Kinderfigur mit einem Dalmatiner raffiniert in schwarz-weiße Farbformen eingepasst. Unter ihren Arbeiten sind auch einige Linolschnitte, die mit malerisch abblätternden Farben ebenfalls melancholische Szenen im „Home-Office“ oder in Isolation zeigen.

Die Ausstellungen im Alten Amtsgericht am Schlossberg in Böblingen laufen bis 6. November. Geöffnet ist mittwochs von 9.30 bis 12 Uhr, sonntags von 14 bis 17 Uhr sowie nach Vereinbarung. Mehr Informationen gibt es unter: www.kunstvereinbb.de im Internet.