Bis Mai 2022 ist die Ausstellung in Waldenbuch zu sehen. Foto: Claudia Barner

Die Fotografen Kai Lobes und Andreas Langen zeigen in einer Ausstellung im Museum der Alltagskultur in Waldenbuch Bilder aus Auschwitz.

Waldenbuch - Die Szenerie strahlt gediegene Bürgerlichkeit aus. Zimmerpflanzen reihen sich an der Hauswand entlang. In den Fenstern hängen kleine Spitzenvorhänge. Doch ein Schriftzug über der Tür stört das Kleinstadt-Idyll. „Kommandantur“ steht dort in dunklen Großbuchstaben. Überbleibsel aus einer Zeit voller Gewalt und Leiden mitten in einer beschaulichen Wohnanlage. Bei einem seiner Besuche im Umfeld der KZ-Gedenkstätte Auschwitz hat der Stuttgarter Fotograf Andreas Langen die verstörende Diskrepanz zwischen Alltag und Grauen 2012 erstmals verspürt. Und sie hat ihn nicht mehr losgelassen.

Fotografen suchen Antworten in Polen

Frauen trugen Einkaufstaschen in die ehemalige Militärdienststelle der SS. Kinder spielten fröhlich im Garten. „Ich war perplex und konnte das nicht einordnen“, erinnert sich Andreas Langen. Mit seinem Kollegen Kai Loges ist er deshalb der Frage nachgegangen: „Wie kann alltägliches Leben an einem solchen Ort stattfinden?“.

Welche Antworten das Fotografen-Duo bei seinen Reisen nach Polen gefunden hat, zeigt die Fotoausstellung „Nebenan. Die Nachbarschaften der Lager Auschwitz I-III“. Sie ist bis zum 8. Mai 2022 im Waldenbucher Museum der Alltagskultur zu sehen. Rund 60 Fotografien verteilen sich auf der Ausstellungsfläche im zweiten Stock des Waldenbucher Schlosses.

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Einige sind überlebensgroß, andere haben das Format von kleinen Fenstern. Das passt zu den Motiven. Sie geben Einblicke in den Alltag der Menschen an einem Ort, an dem während des Nazi-Regimes rund 1,1 Millionen Menschen ermordet wurden, und der bis heute weltweit als Sinnbild des Grauens gilt. Und sie zeigen, was die Bewohner sehen, wenn sie nach draußen und über ihre Gartenzäune schauen.

Als Siebenjähriger sah er den Feuerschein der Verbrennungen

Die Aufnahmen sind von Effekthascherei und lauter Bildsprache weit entfernt. Es sind Fotos, die in ihrer Unaufgeregtheit Szenen zeigen, die jeder aus dem Alltag kennt. Wer sich auf sie einlässt, kann die Geschichten dahinter entdecken. Zum Beispiel jene von Jan Sikora, der als Siebenjähriger Tote und den Feuerschein der Verbrennungen sah. „Ich wünschte, ich hätte es nie gesehen. Aber man muss darüber reden“, sagt er.

Geredet wurde viel bei den Besuchen des Fotografen-Duos aus Stuttgart. „Die Menschen waren froh, dass auch mal jemand nach ihrem Schicksal fragt“, erzählt Kai Lobes. Dabei wurde deutlich: Jeder hat eine eigene Strategie entwickelt, um neben Verladestation und Krematorium ein normales Leben zu führen. Mal war es die Pflanzung einer Hecke, die den Blick aufs ehemalige Lager verdeckt. Mal der Umzug ins Obergeschoss, damit der Blick in die Ferne schweifen kann.

Geschichte nebenan auf Instagram

Auch die junge Generation geht mit der Geschichte um. Die Grundschule in Brzezinka (Birkenau) veranstaltet jedes Jahr am Tag der Befreiung des Lagers ein großes Fest und lädt dazu Überlebende der Vernichtungsmaschinerie ein. Andreas Langen und Kai Lobes hat diese Form der Erinnerungskultur beeindruckt. Sie haben deshalb den Bogen in die eigene Heimat geschlagen. Auf einer Übersichtskarte sind die ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager, Orte der Vertreibung und Zwangsarbeit im Baden-Württemberg markiert.

Auch ein Schulprojekt ist in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung angelaufen. Unter dem Stichwort „Geschichte nebenan“ dokumentieren Schülerinnen und Schüler auf Instagram Orte der Ausgrenzung und Verfolgung in ihrem Lebensumfeld. Katrin Hammerstein, die Leiterin des Fachbereichs Gedenkstättenarbeit, lädt zum Mitmachen ein: „Wir freuen uns über jede Schule, die Interesse hat“, sagt Hammerstein.

Eckdaten

Ausstellung
 Die Foto-Ausstellung „Nebenan. Die Nachbarschaften der Lager Auschwitz I bis III“ ist bis zum 8. Mai 2022 im Museum der Alltagskultur im Waldenbucher Schloss zu sehen.

Öffnungszeiten
 Das Museum der Alltagskultur in Waldenbuch ist von Dienstag bis Samstag von 10 bis 17 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Wegen der wechselnden Corona-Vorschriften sollte man sich vor einem Besuch unter www.museum-der-alltagskultur.de über die aktuellen Bedingungen und Veranstaltungen informieren.  

Buch
 Die Fotografen Kai Loges und Andreas Langen haben die Bilder und Geschichten in einem Buch zusammengetragen. Es heißt „Nebenan Auschwitz“ und ist im Hartmann Books-Verlag erschienen.