Faszinierende Bilder aus der Karibik und dem Amazonas: Die ifa-Galerie erkennt in der tropischen Nacht eine eigene Wahrnehmungsform und stellt Fotos aus, die eine mitreißende Atmosphäre erzeugen.
Es ist schwül. Insekten surren durch die feuchte Luft, das Unterholz raschelt, aus dem Dickicht funkeln Raubtieraugen heraus. So ungefähr beschreiben ein Joseph Conrad, ein Robert L. Stevenson oder andere Klassiker des kolonialen Abenteuerromans den Urwald nach Sonnenuntergang. Eine menschenfeindliche Welt, in der man das Gewehr stets griffbereit haben sollte. Doch jenseits des europäischen Klischees existiert noch eine andere Vorstellung von der tropischen Nacht.
Sichtweisen indigener Kulturen
Welche, verrät die Stuttgarter Galerie des Instituts für Auslandsbeziehung (ifa) in ihrer aktuellen Ausstellung. Wenn über den Palmen der Mond aufgeht, beginnt eine Zeit der Erinnerung, der Grenzüberschreitungen und der neuen Erkenntnisse. „In indigenen Kulturen symbolisiert die Nacht eine Öffnung für andere Formen der Wahrnehmung“, sagt Lea Altner. Gemeinsam mit dem aus Französisch-Guayana stammenden Künstler Mathieu Kleyebe Abonnenc hat sie die Schau kuratiert.
„In the Skeleton of the Stars“ (ein Zitat des guyanischen Dichters Wilson Harris) überschreibt sich das Projekt, dessen geografischer Fokus auf der Karibik sowie dem Amazonas liegt. Dabei steht das ‚Skelett der Sterne’ nicht zuletzt für die nächtliche Präsenz des Toten. Oder des Totgeglaubten. Die Kolonialisierung etwa geht weiter um und arbeitet mittlerweile mit der Chemiekeule, wie Minia Biabiany offenbart. Der Film, der mit dem monotonen Schleifen einer Machete beginnt, taucht in die nur scheinbar unberührte Natur des französischen Überseedepartements Guadeloupe ein. Chlordecon, ein Ackergift von den Bananenplantagen, verändert das gesamte Ökosystem der Inseln. Bezeichnenderweise ist das Pestizid auf dem französischen Festland längst verboten.
Naturmagische Traditionen und die Präsenz der Toten
„Viele Werke“, so Altner, „konstituieren eine Spannung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren.“ Folglich setzt der Parcours in der ifa-Galerie vor allem auf assoziative Kräfte. Jenes „politische Potenzial der Imagination“, auf das Altner und Abonnenc abzielen, schöpft am nachhaltigsten Mirtho Linguet aus. Seine Fotoinszenierungen lassen verstörend archaische Gestalten aus der Finsternis leuchten. Hier ein Satyr mit goldenen Hufen, dort der feuerrote Priester, der ein Räuchergefäß schwenkt. Zugleich schreibt diese schwarzbunte Geisterstunde eine Geschichte der Gewalt, denn sie spielt mit einer ursprünglich westafrikanischen Mythologie, die erst über den Sklavenhandel in die Karibik kam. Ähnlich naturmagische Traditionen beschwört Beatriz Santiago Muñoz. Die Künstlerin begleitet eine Heilerin, die zu peruanischen Punkrythmen durch den Dschungel tanzt.
Worin das tiefere Erkenntnispotenzial schweißtreibender Äquatornächte besteht, bleibt offen. Wenn das Ganze dennoch überzeugt, dann nicht durch Systematik, sondern durch die mitreißende Atmosphäre. Eine Hälfte des Raumes verschwimmt im Dunkeln und aus den Lautsprechern der Videoinstallationen ertönt bald fernes Vogelzwitschern, bald erwartungsvolle Stille.
In the Skeleton of the Stars: Bis 23. April, ifa-Galerie, Charlottenplatz 17, Di-So 12-18 Uhr.