So zeigt sich das Schloss nach der letzten Renovierung im Jahr 2011. Foto: Archiv/Thomas Bischof

Das Dätzinger Schloss hat schon viele Besitzer gesehen, seit geraumer Zeit ist das herausgeputzte Gemäuer in kommunalen Händen. Heute beherbergt es die Galerie Schlichtenmaier, das Heimatmuseum und einen Uhrmacher.

Das Dätzinger Schloss hat eine bewegte Vergangenheit. Erst Wasserburg der Grafen von Fürstenberg, dann Kommende der Malteser, später wieder Adelssitz – heute ist das Anwesen in Gemeindebesitz. Kunst und Kultur sind in dem Schmuck renovierten Gemäuer längst zu Hause und so manch merkantiles Handwerk.

Von der Wasserburg zur Schlossanlage Dätzingen wurde 1075 als „Tatichingen“ erstmals urkundlich erwähnt. Zunächst waren die Grafen von Fürstenberg und von Calw-Vaihingen Lehensherren des Ortsadels. Im 13. Jahrhundert erwarb dann der Johanniterorden den Ort und hinterließ mit dem Schloss seine Spuren. Es geht im Kern wohl auf eine mittelalterliche, nicht genauer zu datierende Wasserburg zurück. Die Johanniter – auch als Malteser bezeichnet – bauten es 1607 um und erweiterten es 1733 zur heutigen, vierflügeligen Schlossanlage. Aus einem trockengelegten Sumpfgebiet wurden ein barocker Lustgarten und der Schlosspark. Das Schloss erhielt den prächtigen Maltesersaal, der nach der Restaurierung wieder sein spätbarockes Aussehen erhielt. Die dort angebrachten zehn Gemälde bilden die Ordensgeschichte ab. Dort finden heute nicht nur kulturelle Veranstaltungen statt, dort tagt auch der Gemeinderat.

Säkularisierung und neue Besitzer Von 1806 an gehörte Dätzingen zum Königreich Württemberg. 1810 schenkte König Friedrich das Johanniterschloss seinem Günstling Graf Carl Ludwig von Dillen. Der heutige Bau ist ein zweigeschossiger, weitgehend regelmäßig gegliederter Massivbau mit Eckquaderung und Walmdächern. Der Hofarchitekt Nikolaus Friedrich von Thouret fügte 1810 bis 1812 an der Nordseite einen zweigeschossigen, rundbogigen Säulenportikus an. Aus lauter Dankbarkeit dafür dürfte von Dillen seinem Gönner, der ein großer Jagdliebhaber war, im Schloss ein Gastzimmer eingerichtet und dieses mit einer Jagdtapete geschmückt haben.

Jagdtapete aufwendig restauriert In späteren Jahren lagerten die meisten Bahnen der Jagdtapete irgendwo im Schloss. Doch „La chasse de Compiègne“ ist nach ihrer jüngsten Restaurierung wohl die weltweit Einzige, die in allen Originalbahnen vorhanden und am Ort der Erstinstallation angebracht ist. Der Förderverein Schloss Dätzingen machte die Sanierung möglich, die mehr als 70 000 Euro gekostet hat. Die Deutsche Stiftung Denkmal und die Kreissparkasse Böblingen finanzierten die Restaurierung.

Beim Rundgang informiert Der Förderverein Schloss Dätzingen sorgte auch für Informationstafeln rund um das Anwesen, die seine Historie stärker in den Blickpunkt rücken. Um das Schloss gruppierte sich eine Anlage, die nur noch in Teilen besteht. Während etwa Meierhaus und Waschhaus noch stehen, wurde die Barbara-Kirche schon vor 200 Jahren abgetragen. Die beiden Glocken läuten heute in der St.-Leonhards-Kirche in der Nachbarschaft. Die Informationstafeln mit Gartenplänen verweisen auf Anlagen, die heute nur noch in Spuren erhalten sind: eine Art Theater, ein Gartensaal, eine Einsiedlerwohnung, ein Eiskeller sowie der See mit Pavillon.

Berühmte Adlige und Namenspatronin Durch Heirat kam das Schloss mit Grundbesitz an die preußische Adelsfamilie von Bülow. Adrienne von Bülow, geboren 1891 und seit 1910 mit Bernhard von Bülow verheiratet, wurde Namenspatronin für das heutige Seniorenzentrum. Gute Gründe dafür gibt es allemal. So stellte die letzte Schlossherrin zu Dätzingen nach dem Zweiten Weltkrieg das Anwesen der Caritas zur Verfügung, um dort ein Altersheim einzurichten. Aus ihrer Ehe gingen drei Kinder hervor. Beide Söhne starben jedoch im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront. Auch ihrem Ehemann Bernhard war kein langes Leben beschieden, bereits im Jahr 1937 starb er an einem Krebsleiden. Von 1939 an waren die Räume von der „Führerschule der Hitlerjugend“ belegt, zunächst von den Knaben, später vom „Bund deutscher Mädchen“.

Im Widerstand engagiert Die Ferne zum Nationalsozialismus und Adriennes Kontakte zum Widerstand dokumentierte ihre Verhaftung im Januar 1944. Vom Verhör in Berlin schickte man sie in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Sie hatte Glück und wurde im Mai 1944 wieder entlassen, während Mitgefangene zum Tode verurteilt wurden. Und so konnte Adrienne von Bülow nach dem Einmarsch der Alliierten sich für die Dätzinger einsetzen. Denn als im April 1945 französische Truppen einmarschierten, konnte sie in bestem Französisch den marodierenden Marokkanern entgegentreten und Schlimmeres verhindern. Mit der Einrichtung des Pflegeheims und der Aufnahme von Flüchtlingen im Schloss ging Adrienne von Bülow in die Annalen als mildtätige Adlige ein.

Ehrenbürgerin und letzte Adlige Mit ihrem 60. Geburtstag erhielt sie die Ehrenbürgerschaft der damals noch selbstständigen Gemeinde verliehen, zumal sie auch in den Nachkriegsjahren den Heimatvertriebenen Bauland überließ. Mit ihrem Tod im Jahr 1965 ist der Dätzinger Zweig derer von Bülow ausgestorben und hat auf dem Adelsfriedhof im Schlosspark seine letzte Ruhestätte gefunden. So gesehen ist die Namensgebung für das Pflegeheim nicht nur eine persönliche Anerkennung von Adrienne von Bülow, sondern auch ein historischer Fingerzeig, dass in Dätzingen nicht nur der Malteserorden karitativ im Schloss gewirkt hat.

Gemeinde wird Schlossherrin Die Gemeinde Dätzingen erwarb das Schloss im Jahr 1961 und gleich noch 45 Hektar Land dazu. Von 1962 bis 1967 wurde das Schloss schon einmal saniert. 1962 zogen die Eheleute Witzgall mit ihrer Werbeagentur ein und begründeten die gewerbliche Nutzung des Schlosses mit merkantilen Anteilen. Durch Produkt- und Personalwerbung wuchs die Agentur auf fast 100 Mitarbeiter. Constantin Witzgall starb 1974. Ihm folgten das Walter Institut, 1976 das Uhren Auktionshaus Peter Klöter, mehrere Antiquitätenhändler und 1978 die Galerie Schlichtenmaier. 1982 kamen der Uhrmachermeister Hermann Grieb und 1997 der Antiquar Joachim Ratz hinzu. Letzterer ist heute Leiter des 1986 im Schloss eröffneten Heimatmuseums. Der Kulturkreis Grafenau veranstaltet seit vielen Jahren Konzerte und Kabarett vor Ort, in den Sommermonaten gerne auch unter freiem Himmel im Schlosshof.

Neuer Glanz nach Renovierung Das von Bürgermeister Martin Thüringer deshalb zu Recht als „kulturelle Mitte der Gemeinde“ bezeichnete kulturhistorisches Bauwerk ist der Gemeinde einiges wert: Im Rahmen der Ortskernsanierung investierte die Kommune allein bis 2011 insgesamt drei Millionen Euro, um Dachgebälk, Mauerwerk und Portikus instandzusetzen. Mehr als die Hälfte der Kosten steuerten Land, Denkmalamt und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz bei. Die dreijährige Bauzeit und fast zehnjährige Planungszeit waren kein Zuckerschlecken. Architekten und Ingenieure hatten schwierige Probleme zu lösen. Schließlich zeigte sich so manche Überraschung im Gebälk, grüßte so mancher Schimmel von der Decke. Im ersten Bauabschnitt musste zudem der Portikus sprichwörtlich angeleint werden, damit er sich nicht weiter von dem Hauptgebäude entfernte. Im zweiten Sanierungsabschnitt ging es dann ans marode Dach, anschließend folgten die Innenrenovierung sowie der Bau der Fluchttreppe und der Toilettenanlage.

Galerie mit Tradition Kuno Schlichtenmaier geht nicht nur wegen der gleichnamigen Galerie im Schloss seit Jahrzehnten ein und aus. Er hat auch als Mieter und Kunstkenner die jüngste Sanierung mit fachlichen Anregungen begleitet. Der Grafenauer vom Kapellenberg gehört zudem dem Vorstand des Freundeskreises Schloss Dätzingen an, der als Förderverein für das Kulturdenkmal wirkt. „Ein Juwel, das viele Besucher und Kunden schätzen“, sagt Schlichtenmaier; er weiß um das ideale Ambiente für Kunstbegeisterte. Seit mehreren Jahren hat die Galerie Schlichtenmaier auch am Stuttgarter Schlossplatz eine Dependance, die Kunos Zwillingsbruder Bert Schlichtenmaier führt. „Aber die Galerie im Schloss Dätzingen ist und bleibt die Zentrale“, betont der 69-Jährige.

Ein Meister der Zeit Das Schloss ist seit vier Jahrzehnten auch die Wirkungsstätte von Uhrmachermeister Hermann Grieb. Seine Spezialwerkstatt im ehemaligen Waschhaus entführt in die hohe Schule der Uhrmacherkunst. Der 68-Jährige ist ein Meister seines Fachs, wie auch die Unikate der Extraklasse verraten, die Grieb zusammen mit Graveur Jochen Benzinger kreiert. Eigentlich seit 2021 in Rente ist der Selbstständige immer noch oft in der Werkstatt, um die vielen Reparaturaufträge abzuarbeiten. Eine Nachfolge hat Grieb für das seit Jahrhunderten praktizierte Handwerk noch nicht. Er bricht eine Lanze für Kunden, die etwas übrig haben für echtes Handwerk: „Wo wären wir, wenn der Adel und später das begüterte Bürgertum die Manufakturen finanziell nicht möglich gemacht hätten?“

Schloss Dätzingen

Anfahrt und Öffnungszeiten
Ankommen mit dem Auto über die B 464 Ausfahrt Döffingen oder die Landesstraße aus Richtung Weil der Stadt oder Darmsheim. Die Buslinie 766 verbindet Grafenau mit Weil der Stadt und Böblingen. Einkehren lohnt sich im Engel schräg gegenüber des Schlosses beim Heckengäukoch. Die Galerie Schlichtenmaier hat geöffnet von Mittwoch bis Freitag, 11 bis 18.30 Uhr und Samstag, 11 bis 16 Uhr, sowie nach Vereinbarung