Ein attackiertes Polizeifahrzeug. Foto: 7aktuell.de/Marc Gruber/7aktuell.de | Marc Gruber

Die Debatte über die Gewalt an Silvester muss ohne Scheuklappen geführt werden – aber auch differenziert, meint unser Redakteur Tobias Peter.

Sprechen wir ganz in Ruhe über Fakten. Bei den Krawallen an Silvester in Berlin sind nach Angaben der Polizei 145 Menschen vorläufig festgenommen worden. Dabei wurden 18 Nationalitäten erfasst. 45 der Verdächtigen haben eine deutsche Staatsangehörigkeit, 27 von ihnen sind afghanischer Nationalität, 21 sind Syrer.

Die enthemmte Gewalt in der Nacht zum Jahreswechsel hat Menschen im ganzen Land entsetzt. Dass Böller auf Feuerwehrleute und Polizisten geworfen werden, ist der Inbegriff einer gesellschaftlichen Verrohung, die ihresgleichen sucht.

Es ist legitim und auch richtig, darüber zu reden, dass die Taten nicht unerheblich von Menschen mit Migrationshintergrund ausgegangen sind – auch wenn man dafür schon einmal Applaus von der falschen Seite bekommen kann. Es nicht zu tun würde den falschen Eindruck erwecken, hier dürfe über etwas Offensichtliches nicht geredet werden. Das ist aber gar nicht der Fall.

Wichtig ist, dass die Debatte differenziert und umsichtig geführt wird. Die große Mehrzahl der Menschen im Land, ob mit oder ohne deutschen Pass, wollen friedlich zusammenleben. Auch in migrantischen Milieus ist die Ablehnung von Gewalt gegenüber dem Staat groß: Gerade dort fordern viele auch spürbare Strafen für Jugendliche, die respektlos jede Regel übertreten, gewalttätig und kriminell sind.

Einseitiger Blick verbietet sich

Viele Menschen neigen dazu, sich in der Debatte je nach weltanschaulichem Standpunkt jeweils ein Auge zuzuhalten. Die einen verweisen darauf, es gehe um ein Phänomen der Gewaltbereitschaft unter jungen Männern – und wollen nur höchst ungern über die Frage des Migrationshintergrunds sprechen. Die anderen beziehen sich oft allein auf diesen Aspekt – und tun so, als ginge es um Menschen, deren einzige Eigenschaft daraus bestünde, ausländische Wurzeln zu haben. Eine Sichtweise, die auch deshalb Blödsinn ist, da ja viele junge Männer mit Integrationsproblemen längst Deutsche sind.

Auch bei der Suche nach Ursachen für Gewalt verbietet sich der einseitige Blick. Wenn junge Männer aus migrantischen Milieus gewalttätig werden und den Staat radikal ablehnen, können sowohl fehlende Integration als auch soziale Probleme zu den Ursachen gehören. Das eine kann auch das andere verstärken. Die Tatsache, dass Menschen gesellschaftlich abgehängt sind, ist dabei nie eine Rechtfertigung für Kriminalität oder Gewaltexzesse. Wer Gesetze verletzt, muss Folgen spüren. Aber es wäre gesellschaftspolitisch dumm, nicht auch darüber zu sprechen, was der Staat für bessere Integration tun kann.

Mehr Zeit für politische Bildung

Ein Schlüssel dafür, dass das Zusammenleben in unserer immer vielfältigeren Gesellschaft gelingen kann, ist die Schule. Hier braucht es mehr Zeit für politische Bildung. Und hier müssen die Jugendlichen ein gutes Zusammenleben einüben. Vor allem muss es gelingen, dass weniger junge Menschen ohne Abschluss abgehen. Gute Startchancen für alle: das ist gut für die gesamte Gesellschaft und in Zeiten des Fachkräftemangels auch eine ökonomische Notwendigkeit.

Dafür müssen wir mehr Ressourcen gerade in Brennpunktschulen stecken. Manche Lehrer mögen klagen, die Schule könne nicht die Probleme der Gesellschaft lösen. Nur müssen sie sich, wie der Chef der Pisa-Studie, Andreas Schleicher, einmal sagte, fragen lassen: Welche Probleme denn sonst? Politiker wiederum sollten beharrlich daran arbeiten, dass mehr Geld für Schulen und Jugendarbeit zur Verfügung steht. Das ist wichtiger als lärmende Debatten. Ein Böllerverbot gibt es weder an Silvester noch im politischen Streit. Aber: Jeder sollte sich verantwortlich dafür fühlen, was er laut in die Luft schießt.