Der Filmemacher Raoul Peck kam 1953 auf Haiti zur Welt. Foto: imago/Eibner

Der Filmemacher Raoul Peck zieht Linien vom Kolonialismus bis Auschwitz. In „Rottet die Bestien aus!“ spürt er dem mörderischen Konzept von minderwertigen Völkern nach.

Stuttgart - Geschichte gehört nicht den historischen Fakultäten, sie gehört den Menschen. Und die beanspruchen sie auch für sich. Das kann man jeden Tag zum Beispiel auf Facebook erleben. Leider. Gerade hat dort die Seite „Historic Photographs“ eine alte Landkarte gepostet, die zeigt, welches gigantische Gebiet westlich des Mississippi im Jahre 1803 die jungen Vereinigten Staaten im sogenannten Louisiana Purchase von Napoleons Frankreich erwarben.

Etliche Kommentatoren weisen darauf hin, dass dieses Gebiet keineswegs Frankreichs Eigentum war oder das der USA, sondern jenes der Native Americans. Sie werden überschüttet mit Kommentaren, der Lauf der Welt sei eben, dass die Starken sich gegen die Schwachen durchsetzten. Und noch zynischer: die Indianer hätten einander ja auch beständig bekriegt, also gewiss auch die europäischen Einwanderer ausgerottet, hätten sie dafür nur die nötigen Ressourcen und Infrastrukturen besessen.

Landraub und Genozid

Der Louisiana Purchase spielt auch eine Rolle in Raoul Pecks vierteiliger Dokumentation „Rottet die Bestien aus!“, die an diesem Dienstag bei Arte zu sehen ist und die sich mit der Geschichte des Kolonialismus und der Genozide beschäftigt. Peck widerspricht der Theorie, jeder habe schon immer jedem alles wegnehmen wollen, manche seien eben bloß erfolgreicher gewesen als andere. Er glaubt, dass zum totalen Krieg, zum Landraub nebst Genozid, nicht nur eine Technologie gehörte, sondern vornehmlich eine Ideologie von höher- und minderwertigem Leben, die in Europa entstanden sei.

Aber „Rottet die Bestien aus!“ will weder Argumentationshilfen für polemische Facebook-Debatten liefern noch einen klar gegliederten Grundkurs Kolonialismus. Dieser durch die Zeiten und über die Kontinente springende, mit Spielszenen angereicherte Essayfilm setzt Vorwissen voraus, will Verbindungslinien aufzeigen, Muster herausarbeiten, Verantwortlichkeiten festklopfen.

Auschwitz kam nicht aus dem Nichts

Pecks Dokumentarwerk ist eine späte Reaktion auf die Historikerdebatte der Achtziger, die, wie Peck („I am not your Negro“) tadelt, nur nach Osten schaute. Also fragte, ob man den Holocaust angesichts von Stalins Massenmorden wirklich einzigartig nennen dürfe. Peck will Auschwitz nicht verharmlosen, aber doch als konsequenten Auswuchs einer jahrhundertealten europäischer Ausrottungsmentalität zeigen. Selbst das aber ist wohl nur die obere Motivationsschicht.

Darunter wird noch ein anderer Antrieb spürbar. „Was ist meine Welt? Und wer bin dann ich?“ scheint der Filmemacher zu fragen, der als Haitianer im Lexikon steht, aber unter anderem in Zaire, in den USA und viele Jahre auch in Deutschland gelebt hat. Als jemand, der die Geschichte der Kolonisierten, der Opfer, der Ermordeten als die seine sieht, hat er eine große Sensibilität gegenüber globaler Machtpolitik und ihren Vorläufern entwickelt. Und kommt nachvollziehbarerweise zu dem Schluss, die Bürger Europas und der USA seien sich über die eigene Geschichte noch immer nicht wirklich im Klaren.

Rottet die Bestien aus! Arte, Dienstag, 20.15 Uhr. Bereits in der Arte-Mediathek.