Auch das Essen wird extra für Instagram gestylt und poliert. Foto: Arte/Capa TV

Die Doku „Instagram: Das toxische Netzwerk“ erzählt, wie die Bilder-App Werte und Alltag kapern konnte.

Erst war da die Alltagswirklichkeit. Dann fingen die Menschen an, Bilder von ihr zu machen und an Wildfremde zu verteilen. Konnte das lange gut gehen? Nein, erklärt Olivier Lemaires DokumentarfilmInstagram: Das Toxische Netzwerk“. Als genügend clever aufgehübschte Bilder vom angeblichen Alltag anderer Menschen auf Instagram standen, begann ein Wettbewerb. Das eigene Leben musste nun den Standards der Bilder-App genügen.

Es geht dabei nicht um ein bisschen Schummeln und Zurechtrücken. Es geht um die tiefe Verwurzelung eines Konkurrenzgedankens, einer destruktiven Selbstkritik, eines Minderwertigkeitsgefühls, einer Selbstauslieferungsbereitschaft an den nächsten Trend. Was den Ansprüchen nicht genügt, ist schnell mal der eigene Körper. Aber Instagram preist gleich auch die Methoden, das Störende und Ungenügende gegen die aktuelle Mindestnorm für Schönheit auszutauschen.

Bereitschaft zum Butt Lift

Jedes Kind findet hier jene angesagten Schönheitschirurgen, die Unzufriedene unters Messer nehmen, um deren Po so aussehen zu lassen wie eine Mischung aus Riesenbirne und Feuerwehr-Sprungkissen. Man sieht danach aus wie Millionen anderer Kim-Kardashian-Imitate auf Instagram. Die Bereitschaft zum Brazilian Butt Lift – eine tödliche Komplikation, erfahren wir in dem Film, sei bei diesem Eingriff zwanzigmal wahrscheinlicher als bei anderen Schönheitsoperationen – signalisiert nicht bloß den Willen zur konkurrenzbewussten Selbstoptimierung, sondern auch den Drang zur demütigenden Anpassung. Dieser Widerspruch wird im Film nicht thematisiert, dürfte aber zur psychischen Überreizung der heftigeren Instagram-Opfer beitragen.

Lemaire zeigt Instagram aber keinesfalls als etwas, das im Labor des Teufels ausgekocht wurde. Kevin Systrom und Mike Krieger, die den Dienst 2010 starteten, waren weniger übergriffig gesinnt als die Clique um Mark Zuckerberg, die Facebook ursprünglich als Werkzeug zum sexistischen Bewerten junger Frauen erfunden hatte. Lemaire kann einem durchaus verständlich machen, wie dieses anfangs werbefreie Startup seine eigene Dynamik entwickelt hat, wie das Wachstum gar keine Zeit für Bedenken ließen. Als Instagram bereits zehn Millionen Nutzer, aber immer noch nur acht Angestellte hatte, mögen sich diese an der Kapazitätsgrenze Arbeitenden immer noch wie die besten Freunde ihrer Nutzer gefühlt haben, die allen halfen, ihre Lebenserinnerungen mit schönen Filtern besser darzustellen: aus der Unbeholfenheit des Amateurknipsens herauszuholen und in die Gefilde der gefühlten Bedeutung eines Moments zu überführen.

Das irrste Versprechen

Es kam dann anders. Instagrams Filter wurden zur Tyrannei: So muss Dein Leben aussehen, oder es ist Ramsch. Facebook kaufte Instagram und machte die Fehler zur Umsatzmaschine. Aus ungewollter Normsetzung wurde ein ertragreiches Werbegeschäft. Das irrste Versprechen dabei: Instagram fordere nicht nur einen Lebensstil, sondern gebe einem die Mittel an die Hand, ihn zu erreichen. Das Influencer-Wesen blühte auf, aus dem kontrollierten Herzeigen von Lieblingsstücken wurde die 24/-7-Imitation des konsumbasierten Glücks. „Instagram: Das toxische Netzwerk“ zeichnet die Entwicklung Schritt für Schritt nach. Was der Film nicht liefern kann: Eine Hoffnung, wie die Menschheit sich wieder entgiften kann.

Instagram: Das toxische Netzwerk. Arte, Dienstag, 21.40 Uhr