Der Funktionär Jean Leco (Raymond Thiry), die Strafverteidigerin Lea Brandstätter (Birgit Minichmayr), der Scout Richard Felgenbauer (Tom Wlaschiha, v. li.) Foto: ARD//ommerhaus Serien

Die fiktive ARD-Serie „Das Netz“ widmet sich kriminellen Auswüchsen im Milliardengeschäft Fußball wie den skandalösen Handel mit Talenten aus Afrika. Die erste Staffel hat der Ludwigsburger VfB-Fan Jochen Laube produziert. Er sagt: „Es ist in Wahrheit noch schlimmer.“

Das Milliardengeschäft Fußball ist ein Sumpf. Im Zusammenhang mit dem Sommermärchen 2006 wurde sogar gegen den Kaiser Franz Beckenbauer ermittelt wegen des Verdachts auf Betrug, Geldwäsche und Veruntreuung in Millionenhöhe. Ein aktueller Aufreger ist die Fußball-Weltmeisterschaft (WM) im autokratischen Wüstenstaat Katar, der unter anderem Stadien unter Sklavenhalter-Bedingungen gebaut haben soll und die internationale Berichterstattung scharf zensieren möchte.

Vier Wochen vor Anpfiff startet das Erste in der Mediathek nun die fiktive Fußball-Serie „Das Netz“ mit fünf Staffeln aus fünf Ländern. Es geht um Betrug und Korruption. Die erste Staffel kommt aus Deutschland und blickt auf das Geschäft mit Talenten aus Afrika. Mitinitiator ist der Getränkeproduzent Red Bull, der auch die Clubs in Leipzig und Salzburg finanziert. „Vor meiner Zusage wollte ich wissen, wie kritisch man mit dem Produkt Fußball umgehen darf“, sagt der Ludwigsburger Produzent und VfB-Stuttgart-Fan Jochen Laube („Berlin Alexanderplatz“), der mit seiner Firma Sommerhaus die erste Staffel verantwortet. „Doch es hat sich herausgestellt, dass wir freie Hand bekommen.“

Eine Anwältin und ein Hooligan ermitteln

Der Scout David Winter (Itay Tiran) gerät in Konflikt mit dem Weltverband, der hier nicht Fifa heißt, sondern WFA. Dessen öliger Chef Jean Leco (Raymond Thiry) erkauft sich gern Voten, etwa für seinen Plan einer „World League“. Als Winter querschießt, möchte er ihn loswerden – und ruft so dessen Geliebte Lea Brandstätter (Birgit Minichmayr) auf den Plan, eine Strafverteidigerin ohne Fußballnähe. Sie ermittelt mit Hilfe ihrer Kollegin Christina (Eva Mattes), entdeckt auf Davids Telefon belastendes Material, trifft seinen Partner Richard (Tom Wlaschiha). Sie agiert eigensinnig und unvorsichtig, obwohl ihr ein Handlanger Lecos auf den Fersen ist. Parallel untersucht der Hooligan Marcel (Max von der Groeben), was es mit der Bluttat auf sich hat, deren Zeuge er am Rande eines Spiels wurde. Bald blicken alle in tiefe Abgründe voller krimineller Energie und finsterer Machenschaften.

Der Autor Bernd Lange („Requiem“, 2006) und der Regisseur Rick Ostermann („Das Boot“) geben in einer Mischung aus Drama und Thriller verstörende Einblicke in ein völlig verkommenes Geschäft. „Es ist in Wahrheit noch schlimmer“, sagt Jochen Laube. „Vieles kann man nicht beweisen, deswegen ist die Serie fiktiv angelegt, aber es gibt eindeutige Hinweise auf Schiebung und Korruption, was zum Beispiel Turniervergaben und Auslosungen angeht. Und wir haben Dinge über den Menschenhandel herausgefunden, bei denen es einem die Sprache verschlägt. Alle Beteiligten wissen davon und machen das Spiel mit.“

Tausende Talente aus Afrika stranden in Europa

Laubes Herzensverein VfB Stuttgart war mit dem afrikanischen Stürmer Silas selbst betroffen: „Er wurde von einem Agenten gezwungen, seinen Namen zu ändern und ein falsches Geburtsdatum anzugeben, um fällige Ausbildungsentschädigungen in Afrika nicht bezahlen zu müssen. Und er hat ja noch Glück: Der VfB hat sich seiner sehr positiv angenommen und er gehört zu den wenigen, die es überhaupt in den Profifußball geschafft haben. Jedes Jahr kommen rund 15 000 Jungen nach Europa, und fast alle scheitern. Sie trauen sich vor Scham nicht nach Hause, weil oft das ganze Dorf zusammengelegt hat für ihre Reise. Viele landen in der Prostitution oder im Drogenhandel, und alle im Fußballgeschäft wissen das.“ Laubes Team hat in Zürich, Berlin, Meersburg am Bodensee gedreht – und in der ghanaischen Hauptstadt Accra. „Allein dort sitzen 500 Fußballagenturen“, sagt Laube.

Der Produzent ist derzeit im Veröffentlichungsfieber: Auf Netflix läuft die Serie „Die Kaiserin“, die eine etwas andere Sisi zeigt und in 88 Ländern unter die Top 5 kam, am 1. Dezember kommt „Die stillen Trabanten“ ins Kino, das jüngste Spielfilm-Drama von Thomas Stuber, mit dem Laube schon „In den Gängen“ (2018) gedreht hat.

Lieber Regionalliga als Katar

Seine Haltung zum VfB hat sich durch „Das Netz“ nicht geändert. „Ich schätze, was der Verein für Jugendliche tut, die aktuell Verantwortlichen leben Werte vor, mit denen ich mich identifizieren kann“, sagt Laube. „Der Fall Silas wird nicht ausgeschlachtet, es gibt kaum Boulevard-Geschichten. Man kann fragen, wann ein Verein Verantwortung übernehmen sollte, wenn es um die Beraterszene geht. Zugleich muss man realistisch sein: Wie viel Macht hat ein VfB?“

Dass werteorientierte Vereine es sportlich mitunter schwerer haben als marktorientierte, stört Laube nicht. „Mir ist es zehnmal lieber, wenn sie gegen den Abstieg spielen, als wenn die 50+1-Regel fallen würde und Investoren das Sagen hätten. Dann wären meine Freunde und ich weg. Die WM werden wir nicht gucken. Wir haben uns ein Ersatzprogramm zusammengestellt. Die Regionalliga läuft ja weiter. Wir gehen zum Beispiel zu einem Spiel des SGV Freiberg.“

„Das Netz“ im Ersten

Die Serie
 Der frühere Wiener Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann hat das von Red Bull finanzierte Serienprojekt mit dem Dramaturgen Plinio Bachmann entwickelt. Es besteht aus national eigenständigen, erzählerisch miteinander verflochtenen Staffeln, die länderübergreifend in verschiedenen Sprachen produziert werden. Beteiligt sind Deutschland, Österreich, Italien, Portugal und Brasilien. Alle werfen Blicke hinter die Kulissen des Fußballs.

Spiel am Abgrund
 Der deutsche Teil der Serie mit Birgit Minichmayer dreht sich um den Handel mit Talenten aus Afrika und ist vom 21. 10. an in der ARD-Mediathek zu sehen. Die lineare Ausstrahlung folgt von 3. bis 5. 11. im Ersten.

Prometheus
 Der österreichische Teil der Serie mit Tobias Moretti dreht sich um Doping im Fußball und ist vom 28. 10. an in der ARD-Mediathek zu sehen. Die lineare Ausstrahlung folgt am 17. und 19. 11. im Ersten.