Die Wirtschaftsjournalistin Melanie Bergermann gehört zu denen, die irgendwann misstrauisch gegen Wirecard wurden. Foto: rbb/Sky/ARD/SFFP/Anna Hawliczek

Der Dokumentarfilm „Wirecard – Die Milliardenlüge“ in der ARD erzählt von einem falschen Börsenwunder und von echten Aufsichtsmängeln.

Stuttgart - Wie es so weit kommen konnte? Die Wirtschaftsjournalistin Melanie Bergermann liefert eine Erklärung: „Man muss einfach sagen: Die haben geil Geld verdient. Also wenn man sich die Bilanzen anguckt: super!“ Bergermann spricht da im DokumentarfilmWirecard – Die Milliardenlüge“ über die Frühzeit eines späteren Börsenwunders. Die Firma Wirecard war da noch Zahlungsabwickler für die boomende Pornoindustrie im Internet.

Kleine Leute wurden geschädigt

Als die Finanzdienstleisterin Wirecard 2020 Insolvenz anmeldete, hinterließ sie 23 Milliarden Euro Schaden. Rund 20 Milliarden davon gingen zu Lasten von Aktionären. Hier wurden kleine Leute getroffen, die genau das getan hatten, wozu Politiker, Banker und Talkshow-Experten drängen: sich nicht länger nur auf staatliche Daseinsvorsorge zu verlassen, selbst aktiv zu werden, sich – mit Bedacht– an Aktien zu wagen. Wirecard galt als saubere, todsichere Anlage, als Grund-und-Boden-Wert des digitalen Zeitalters.

Dass Wirecard in weiten Teile eine betrügerische Luftnummer war, hätte man allerdings früh herausfinden können. Daran lassen die Filmemacher Benji und Jono Bergmann sowie Gabriela Sperl keinen Zweifel. Aber Wirtschaftsprüfer, Finanzaufsicht, Politik, Justiz und Fachpresse schauten regelmäßig weg.

Bergermanns Satz von den geilen Gewinnen gilt für jede Blähstufe von Wirecard noch mehr als für die vorige. Deutschland wollte einen Fin-Tech-Giganten haben, gierte nach dem Beweis, dass man keine bereits abgehängte Ex-Macht des Industriezeitalters war. Man wollte glauben, was die Firmengründer – endlich wieder: Genies aus Deutschland! – erzählten.

Schläger und Staatsanwälte

Man kann sich aber auch des Verdachts nicht ganz erwehren, dass da vielleicht mancher von außen ahnte, dass etwas faul ist. Aber hoffte, die Hochstapler bis zu einem Punkt durchretten zu können, an dem die Behauptung, Wirecard sei der erfolgreichste Zahlungsabwickler der Welt, so viele Kunden gebracht hätte, dass die hohle Lüge plötzlich doch mit echten Gewinnen ausgegossen werden konnte.

Manchmal wird dies ein fast postdemokratisch dystopischer Thriller. Denn ein paar Aufklärer gab es ja: Blogger, Investoren, Journalisten. Gegen die ging Wirecard mit nachrichtendienstlichen Methoden vor, mit Schlägern – und mit Hilfe der Justiz. Wer Betrugsvorwürfe erhob, gegen den gingen Staatsanwälte vor: Die Kritiker seien Finanzschwindler, die an der Börse auf einen Kurssturz von Wirecard gewettet hätten.

Whistleblower in Gefahr

Der Whistleblower, dessen Hinweise man nicht mehr beiseite schieben konnte, zeigt im Film sein Gesicht. Der Wirecard-Mitarbeiter Pav Gill glaubte zunächst, da seien Betrüger ohne Wissen der Firmenchefs am Werk. Heute ist er überzeugt, eine mysteriöse Dienstreise nach Jakarta, zu der man ihn drängte, die er aber nicht antrat, hätte seiner Ermordung gedient.

Vieles ist noch unklar. Die Justiz ermittelt quälend langsam, und Jan Marsalek, einer der Strippenzieher bei Wirecard, ist erfolgreich abgetaucht. Auf ihn wollen alle Zurückgebliebenen alle Verantwortung schieben. Der Film „Wirecard – Die Milliardenlüge“ hilft einem, da sehr skeptisch zu bleiben.

Wirecard – Die Milliardenlüge. ARD, Dienstag, 22.50 Uhr. Bereits in der Mediathek.