Auch im Treppenhaus stapeln sich die Kartons. Foto: Stefanie Schlecht

Das verheerende Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze hat auch im Kreis Böblingen eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Mehrere Stellen sammeln Geld, Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter.

In dem engen Treppenhaus in einem Firmenkomplex an der Wolfgang-Brumme-Allee in Böblingen stapeln sich die Umzugskartons auf jedem freien Zentimeter und auf mehreren Stockwerken beinahe bis zur Decke. Darin sind Decken, Zelte, Krücken, warme Kleidung, Socken, Hygieneprodukte und Babynahrung. An der Eingangstür ein Schild auf Deutsch und Türkisch: Bitte keine Spenden mehr bringen. Dennoch kommen immer wieder Autos, aus denen Männer und Frauen Kisten mit Kleidung und Nahrungsmitteln heraustragen. „Am Montagabend hat es angefangen, dass die Leute Spenden vorbeigebracht haben“, sagt Alexander Kaymanli vom Alevitisch‑Bektaschitischen Kulturzentrum Böblingen. „Alle wollen den Erdbebenopfern helfen.“

Am frühen Montagmorgen hatte ein Erdbeben der Stärke 7,8 die türkisch-syrische Grenzregion erschüttert. Hunderte Nachbeben folgten. Bis Redaktionsschluss am Donnerstag wurden mehr als 16 000 Tote aus beiden Ländern zusammen gemeldet.

Gut zehn Vereine und Moscheegemeinden starten erste Hilfsaktionen

Die Anteilnahme im Kreis Böblingen ist groß. Gerade in den muslimischen Gemeinden wurden schnell die ersten Hilfslieferungen angestoßen. Wie die Pressestelle der Stadt Sindelfingen, die eine große türkische Community hat, mitteilt, haben innerhalb kürzester Zeit gut zehn Vereine und Moscheegemeinden erste Hilfsaktionen organisiert.

„Viele von uns haben noch Familie in den betroffenen Gebieten, und viele haben ihre Familie verloren“, erklärt auch Alexander Kaymanli die enorme Hilfsbereitschaft besonders der muslimischen Bewohner des Kreises. Auch seine Frau Insaf Kaymanli, die seit Tagen gemeinsam mit rund 50 Freiwilligen im Alevitischen Kulturzentrum Umzugskisten packt, wirkt sehr bedrückt. „Das erste, was ich getan habe, als ich von dem Beben hörte, war telefonieren“, sagt sie. „Ich habe alle angerufen, die ich dort kenne. Wenn sich jemand nicht gemeldet hat, habe ich furchtbare Angst bekommen.“

Viele junge Leute helfen beim Sortieren und Verpacken

Insgesamt wirken die Anwesenden an diesem Abend betroffen: „Man kann sich einfach kaum vorstellen, dass so etwas in dem Land passiert ist, wo die eigene Familie herkommt“, sagt ein 26-Jähriger aus dem Jugendausschuss, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Wir versuchen jetzt alles Mögliche, um den Menschen zu helfen. Jeder hier gibt sein Bestes.“

Auffällig ist an diesem Abend, dass viele junge Leute beim Sortieren und Verpacken der Sachspenden anpacken. Sie telefonieren, sortieren, organisieren Transporte, und koordinieren die Helfer. „Der Jugendausschuss macht hier fast alles“, sagt Alexander Kaymanli nicht ohne Stolz. Das Problem sei, dass der Alevitische Dachverband AABF (Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu) nur mit Geldspenden gerechnet habe und die Vereine daher bei der Organisation der Sachspenden auf sich gestellt seien. Es gebe noch einiges zu klären, besonders mit dem Konsulat der Türkei. Mit dessen Erlaubnis könnten die Hilfslieferungen ohne Kontrollen über die Grenze, was wertvolle Zeit sparen würde.

Die Ware soll am Ort des Geschehens gekauft werden

Anders als die Aleviten beschränkt sich die Organisation Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) Sindelfingen, zu der die Ulu-Moschee gehört, auf finanzielle Unterstützung der Betroffenen. Das hat seine Gründe: „Wir schicken zunächst ausschließlich Bargeld, damit die Ware dort vor Ort gekauft werden kann“, erklärt der Vorstandsvorsitzende Murat Gülec. „Die Güter sind dort ja vorhanden und sollen auch da gekauft werden.“ Das sei darum wichtig, weil dadurch die Hilfe direkter und schneller ankomme. „Eine Fahrt mit dem Laster kostet zwischen 5000 und 7000 Euro und dauert acht Tage. Aber die Hilfe wird jetzt gebraucht“, so Gülec. An diesem Freitag, sagt er, wollen sich Vertreter verschiedener Vereine mit dem Sindelfinger Oberbürgermeister Bernd Vöhringer treffen, um gemeinsame Hilfsaktionen zu koordinieren.