Krankenkassen arbeiten zusammen, um Betrugsfälle zu reduzieren. Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Mit falschen Abrechnungen sollen zwei Frauen aus der Region Stuttgart mindestens 120 000 Euro erbeutet haben. Versicherer fordern Maßnahmen, um solchen Betrügern das Handwerk legen zu können, schließlich sorgen sie im Gesundheitswesen jährlich für einen Millionenschaden.

Zwei Frauen im Alter von 41 und 63 Jahren sollen Krankenkassen im großen Stil betrogen haben. Ihr Trick: Sie haben sich im Raum Stuttgart ältere Personen gesucht, die keine Angehörigen mehr haben oder deren Verwandtschaft nicht in der Nähe wohnt, und sich dann als deren Betreuerinnen ausgegeben. Mit Vollmachten haben sie deren Pflegebedürftigkeit vorgetäuscht und die Auszahlung von Geldern beantragt. Bei mindestens einer Krankenkasse hatten sie Erfolg, bislang beläuft sich der Schaden auf circa 120 000 Euro. Die Ermittlungen zu weiteren geschädigten Kassen – von bis zu vier ist derzeit auszugehen – dauern an.

Abrechnungsbetrug kostet Kassen viel Geld

Welche Krankenkassen betroffen sind, gibt die Polizei nicht preis. Grundsätzlich sind solche Maschen aber bei allen großen Versicherern ein Thema. Korruption und Abrechnungsbetrug im Gesundheits- und Pflegebereich würde die Patientensicherheit gefährden, sagt ein Sprecher der AOK Baden-Württemberg. „Sie entzieht dem Gesundheitswesen wichtige finanzielle Mittel, die dann nicht für die Versorgung zur Verfügung stehen.“ Alle eingegangenen Abrechnungen und Anträge von Versicherten würden daher sehr genau überprüft werden.

Auch die Techniker Krankenkassen (TK) nimmt Vollmachten und Personalien besonders gründlich unter die Lupe, besonders wenn kein Verwandtschaftsverhältnis vorliegt, bestätigt ein Sprecher des Unternehmens. „Die Masche ist uns bekannt.“ Eine seriöse Einschätzung zur Aufdeckungsquote und zur allgemeinen Schadenshöhe könne er nicht machen. „Bleibt der Betrug eine Weile unentdeckt, kann im Einzelfall durchaus eine fünfstellige Summe erreicht werden.“ Informationen zu einzelnen Fällen gebe man aus datenschutzrechtlichen beziehungsweise ermittlungstaktischen Gründen aber nicht raus.

Um schwarzen Schafen das Leben zu erschweren, arbeiten alle gesetzlichen Krankenkassen beim Thema „Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ eng zusammen, setzen auf entsprechende Prüf- und Sicherheitsmaßnahmen. Darüber hinaus sind sie gesetzlich dazu verpflichtet, eigene Kontaktstellen zur Bekämpfung von Betrug im medizinischen Bereich zu betreiben. Betroffene Versicherte, aber auch Dritte, können über das Internet oder telefonisch Verdachtsmomente melden – auch anonym. „Je nachdem, mit welcher kriminellen Energie vorgegangen wird und welche Personen beteiligt sind, sind Abrechnungsmanipulationen leider nicht zu 100 Prozent auszuschließen“, sagt eine Sprecherin der Krankenkasse Barmer.

AOK stellt 153 Mal Strafanzeige

Bei der AOK Baden-Württemberg, landesweit die größte Krankenkasse, sind im Berichtszeitraum 2020/2021 exakt 653 Hinweise eingegangen – zwei Drittel von extern, der Rest von intern. „Wenn ein Anfangsverdacht auf eine strafbare Handlung besteht, unterrichten wir die Staatsanwaltschaft“, so der Sprecher der Krankenkasse. 153-Mal – es kommt vor, dass sich mehrere Hinweise auf den selben Fall beziehen – ist Strafanzeige gestellt worden. „Bei den von der Staatsanwaltschaft verfolgten Fällen entstand der AOK Baden-Württemberg ein Gesamtschaden in Höhe von fast 21 Millionen Euro“, so der Sprecher.

Beachtlich ist, dass Privatpersonen „nur“ in 40 Prozent der Fälle beschuldigt werden, ansonsten stehen Leistungserbringer im Verdacht, Betrug begangen zu haben. Hier seien laut des AOK-Sprechers quasi alle Bereiche betroffen, von Apotheken über die häusliche Krankenpflege bis zu Krankenhäusern. Ein Krankentransportunternehmen habe beispielsweise gegenüber Krankenkassen ein Übermaß an Desinfektionspauschalen in Rechnung gestellt, ohne die entsprechenden Hygienemaßnahmen durchzuführen. Sprich, das Fahrzeug wurde nach der Beförderung von hochinfektiösen Patienten nicht ausreichend gereinigt. „Die AOK Baden-Württemberg konnte einen Großteil ihrer ursprünglichen Forderungen in Höhe von rund 1,7 Millionen Euro geltend machen und für die Versichertengemeinschaft zurückgewinnen.“

Auch bei der Barmer würden jedes Jahr Schäden in Millionenhöhe aufgedeckt werden, so die Sprecherin, die feststellt, dass die „überwältigende Mehrheit der Leistungserbringer korrekt abgerechnet“ werde. „Da sehr wahrscheinlich nicht alle Fälle entdeckt werden, müssen wir zudem von einer nicht näher zu bestimmenden Dunkelziffer ausgehen.“ Ein Problem aus Sicht der AOK: „Straftaten im Gesundheitswesen bereiten den Staatsanwaltschaften besondere Schwierigkeiten, da das zu beachtende Sozialversicherungsrecht sehr komplex ist und nicht nur gesetzliche, sondern auch vertragliche Vorgaben zu Leistungs- und Abrechnungsbeziehungen zu beachten sind.“ Dementsprechend werde schon seit mehreren Jahren von der Landespolitik gefordert, Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Fälle im Gesundheitswesen einzurichten, wie sie in mehreren Bundesländern bereits bestehen würden. „Mit diesem Schritt könnte Expertise auf Seite der Staatsanwaltschaft aufgebaut und die Effektivität im Kampf gegen Betrug im Gesundheitswesen gesteigert werden.“

Der übergeordnete Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit Sitz in Berlin sagt dem „Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ ebenfalls den Kampf an. Auch der GKV betreibt eine Meldestelle. Außerdem fordert er, dass die Bundesregierung erstmals eine unabhängige, kriminologische Dunkelfeldstudie durchführen lässt. Laut einer GKV-Sprecherin soll mithilfe der Untersuchung in Deutschland ein umfassendes Bild von Umfang und Struktur des Fehlverhaltens im Gesundheitswesen aufgezeigt werden.