Wird Russlands angebliche Wunderwaffe Kinschal – der Luft-Boden-Flugkörper ist an der MiG-31 gut erkennbar – stumpf? Die Ukraine meldet mehrere Abschüsse. Foto: dpa/Pavel Golovkin

Auch wenn die jüngsten Attacken auf Kiew einen anderen Eindruck erwecken: Russlands Luftstreitkräfte haben ihre Taktik komplett geändert – notgedrungen und aus Schwäche.

Es ist das gewohnte Bild: Russische Luftstreitkräfte greifen ukrainische Städte mit schweren Fernwaffen an. Tod, Zerstörung und Schrecken sind die Folge. Hinter diesen Attacken, wie sie in der vergangenen Nacht die Hauptstadt Kiew getroffen haben, steckt seit einigen Wochen aber eine komplett geänderte Taktik.

Erst Terror, jetzt Entlastungsangriffe

Das russische Putin-Regime versuchte über den vergangenen Herbst und Winter, mit Terrorangriffen auf die zivile Infrastruktur möglichst viele Ukrainer von Energie und Heizung abzuschneiden. Jetzt geht es den Angreifern aus Sorge vor der seit Monaten angekündigten Offensive der Ukraine darum, deren Luftabwehr an möglichst vielen Punkten des Landes zu binden.

„Auf russischer Seite herrscht Angst

„Die Armee der Ukraine hat mehr als 50 Städte und Objekte zu schützen, die für die Infrastruktur von besonderer Bedeutung sind“, sagte ein Top-Kommandeur der Nato unserer Zeitung. Die russischen Luftstreitkräfte versuchten inzwischen mit ihren Ukraine-weiten Angriffen einen hohen Anteil der gegnerischen Luftabwehr von einem frontnahen Einsatz fernzuhalten. „Das hat mit dem erheblichen Erstarken dieser Abwehr über die vergangenen zwölf Monate zu tun – und dementsprechend auf russischer Seite mit Angst“, sagte der General.

Was die Russen so verwundbar macht

Der spektakuläre Fernwaffen-Einsatz lenkt zuweilen davon ab, dass auch Russlands Luftwaffe nur begrenzt über hochmoderne Luft-Boden-Lenkwaffen verfügt. Rückgrat ihrer Angriffswaffen bildet nach wie vor ein riesiges Arsenal ungelenkter und wenig präziser Bomben. Für deren Abwurf müssen Kampfflugzeuge ihre Ziele in der Ukraine überfliegen. Das macht sie besonders verwundbar. Die Online-Plattform Oryx Blog weist zum Stand 11. Mai detailliert den angeblich gut dokumentierten Verlust von 80 Kampfflugzeugen und 84 Hubschraubern seit Ausweitung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 aus.

Über dem Territorium des Nachbarlandes geraten im Tiefflug angreifende russische Maschinen häufig ins Feuer schultergestützter Abwehrraketen der Typen Stinger oder Strela. Oder unter Beschuss durch Gepard-Flugabwehrpanzer aus deutscher Lieferung. In großen Höhen sind sie gefährdet durch Raketen des US-Systems Patriot – auch das unter anderen von Deutschland geliefert.

Angebliche Wunderwaffe abgeschossen?

Wie hoch das Risiko inzwischen ist, spiegelt sich nicht zuletzt darin, dass den Ukrainern sogar der Abschuss des vom russischen Präsidenten Wladimir Putin 2018 als unverwundbar bezeichneten Hyperschall-Luft-Boden-Flugkörpers Kinschal gelungen sein soll. Zweifelsfreie Belege dafür gibt es nicht, ein glaubwürdiges russisches Dementi aber auch nicht.

Kein Trumpf aus der Luft

Zweifelsfrei festzustellen ist: Russlands Armee hat bis jetzt ihre nach Zahlen drückend überlegene Luftwaffe nicht zu einem entscheidenden Trumpf im Krieg gegen die Ukraine machen können. Und sehr wenig spricht dafür, dass sich das ändert. Von Russlands angeblich zweiter Hyperschall-Wunderwaffe Zirkon, einem seegestützten Flugkörper, den Putin persönlich am 4. Januar in Dienst gestellt hat, ist gar keine Rede mehr.