Michael Achilles hat sein Wissen über die Schilddrüse in einem Buch zusammengefasst. Foto: Simon Granville

Erst schrieb der Arztsohn Michael Achilles Drehbücher, dann erkannte er seine Berufung: Schilddrüsen-Krankheiten. Der Heilpraktiker hat in Ludwigsburg schon 2000 Frauen geholfen.

Meistens kommen Frauen zu Michael Achilles in die Sprechstunde – ein Termin ist erst nach Wochen zu bekommen. Die Praxis in der Ludwigsburger Innenstadt wirkt hell, kompakt und aufgeräumt. Ein Schriftzug am Schaufenster benennt das medizinische Kernthema des Heilpraktikers: die Schilddrüse. „Bei mir suchen täglich zehn bis 15 Patientinnen Rat – zum Teil von weit her, auch aus Österreich und der Schweiz, kürzlich war jemand aus Flensburg da.“

Wer zu Michael Achilles gelangt, hat in der Regel schon eine Odyssee hinter sich. Hausärzte verschreiben bei einer Unterfunktion der Schilddrüse fast immer L-Thyroxin: Millionen von Packungen dieses Medikaments wandern weltweit über die Tresen der Apotheken. Die Arznei ersetzt die Hormonproduktion, aber nur zum Teil.

Ist ein Drittel der Schilddrüsen-Patienten falsch eingestellt?

Und hier setzt Achilles an, der das Medikament für zwei Drittel der Betroffenen für hilfreich hält, aber auch damit rechnet, dass es für ein Drittel der Patienten – bundesweit etwa zwei Millionen Menschen – nicht der richtige Weg sei: „So lange L-Thyroxin in hoher Dosis genommen wird, bekommt der Mensch zwar Energie, aber die Schilddrüse wenig Impulse.“

Erschöpfung und Konzentrationsschwäche gehören zu den Symptomen einer Unterfunktion der Schilddrüse. Foto: dpa/dpa-tmn

Warum aber verschreiben viele Ärzte L-Thyroxin? Das Hormon Thyroxin (T4) muss in Trijodthyronin (T3) umgewandelt werden, erklärt Michael Achilles – dieser Prozess sei entscheidend. „Wenn Ärzte ihre Therapie nur am TSH-Spiegel im Blut ausrichten, kann nicht sichergestellt werden, dass die Umwandlung von T4 in T3 ausreichend geschieht, und die Therapie bleibt wirkungslos.“ Das äußere sich häufig in einer oberflächlichen Unruhe und einer tiefer liegenden Erschöpfung. Trotzdem sei L-Thyroxin besser als sein Ruf, da die Hormone vor einem lebensbedrohlichen Verlauf einer Schilddrüsen-Erkrankung schützten. Der Nachteil: „Ist L-Thyroxin einmal verschrieben, wird nicht daran gedacht, dass die Hypophyse, die Hirnanhangsdrüse, einer potenziell gesunden Schilddrüse wieder Impulse geben könnte, wenn die L-Thyroxin-Dosis niedriger eingestellt ist.“

Die Symptome einer Erkrankung seien vielfältig, erklärt der 47-jährige Achilles, dessen Vater in Bayern noch mit 81 Jahren eine Arztpraxis betreibt. Der Senior gab seinem Sohn Gelegenheit, Erfahrungen mit Patienten und deren Leiden zu sammeln. Michael Achilles vertiefte sie in einer einjährigen Lehrzeit bei einem Internisten in Bamberg. „Viele Schilddrüsen-Kranke sind müde, können sich schlecht konzentrieren, haben Haarausfall oder trockene Haut, müssen mit Verstopfungen, Gelenkschmerzen oder ständigem Frieren fertig werden.“ Es gebe nicht den Einheitspatienten – die Zusammenhänge im Hormonhaushalt seien komplex. „Die Schilddrüse ist die Dirigentin: Ihre Hormone wirken sich auf alle anderen Organe aus, funktioniert sie nicht richtig, spielt das ganze Orchester falsch.“

Das Schlüsselerlebnis für den früheren Drehbuchautor, der als Dozent an die Ludwigsburger Filmakademie berufen wurde, war das Schicksal eines Studenten. „Er litt unter Depressionen, war aber nach wenigen Wochen voller Energie, als man eine Schilddrüsen-Unterfunktion diagnostizierte und ihm Mittel verschrieb“, erinnert sich Achilles, der 2016 zunächst in Asperg eine Praxis eröffnete und 2021 nach Ludwigsburg umzog. Zeitungsartikel, Podcasts und die Veröffentlichung seines Buches „Die Schilddrüsen-Formel“ im Jahr 2024 ebneten ihm den Weg zu einem breiteren Publikum.

Ausdrücklich betont der Heilpraktiker, wissenschaftlich fundiert zu arbeiten. „Ich bin nicht gegen die Schulmedizin, möchte aber den Beschwerden tiefer auf den Grund gehen, die durch eine Unterfunktion oder eine Überfunktion der Schilddrüse entstehen.“ Wichtige Hilfsmittel seien die Ultraschalluntersuchung und die Blutentnahme. Ausführlich widme er sich der Anamnese, dem Gespräch, in dem er oft wie ein Detektiv arbeite, um das Puzzle der Lebensbausteine zusammenzusetzen: „Ich muss möglichst viel davon erfahren, wie ein Patient lebt – wenn er etwa beruflich oder familiär unter Stress steht, kann er dort schon durch Veränderungen seinen Zustand verbessern.“

L-Thyroxin bei jungen Mädchen? Der Schilddrüsen-Experte rät zu Vorsicht

In bestimmten Lebensphasen, wie etwa der Pubertät mit der ersten Menstruation, nach einer Schwangerschaft oder während der Wechseljahre könnte sich eine Entzündung der Schilddrüse entwickeln, erklärt Achilles, etwa in Form der Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow. Diese Autoimmunerkrankungen könnten dann entstehen, wenn die Schilddrüse geschwächt sei. Litten junge Mädchen nach den ersten Blutungen unter Eisenmangel, wäre es unter Umständen verfehlt, gleich L-Thyroxin zu verschreiben. Andere Gründe für Schilddrüsenkrankheiten könnten Vitamin-D-Mangel, Infektionen und Umwelteinflüsse sein. So rate er etwa von Fluorid-Zahncremes oder Produkten mit Weichmachern ab.

Eine wichtige Rolle spiele die Ernährung, sagt Achilles, sie sollte etwa bei einer Unterfunktion jodreich sein, etwa mit Hilfe von Fisch. „Im Internet kursieren viele Vorschläge, aber ich bin vorsichtig, wenn etwa Selleriesaft oder anderem Superfood Wunderwirkungen nachgesagt werden.“ Entscheidend sei, sich ausgewogen und nährstoffreich zu ernähren. Er verschreibe zudem organische Präparate, eine Apotheke in der Nähe stelle zum Beispiel eine Creme aus Weihrauch und Dimethylsulfoxid (DMSO) her, die von außen aufgetragen werden könne.

Nach zwei Behandlungen fühlten sich die Patienten oft schon besser

Eine Umstellung von L-Thyroxin hänge von verschiedenen Parametern ab, die im Laufe der Behandlung festgestellt werden, erklärt Achilles. Erste Erfolge stellten sich meistens bereits nach ein oder zwei Besuchen bei ihm ein. Danach fühlten sich viele Patienten schon besser und kämen in größeren Abständen nur noch zu Kontrolluntersuchungen, in der Regel ein- oder zweimal pro Jahr. Insgesamt hat der Heilpraktiker nach eigenen Angaben rund 2000 überwiegend weiblichen Patientinnen durch eine Umstellung helfen können.

Und was sagt ein erfahrener Hausarzt zu den Thesen des Heilpraktikers? Der Marbacher Allgemeinmediziner Jürgen Wirth teilt die Ansichten von Michael Achilles größtenteils, sagt aber: „Die Dosis von T4 zur Behandlung der Unterfunktion der Schilddrüse wird heute so niedrig gewählt wie möglich.“ Üblicherweise werde eine Dosis von etwa 1-1,5 Mikrogramm T4 pro Kilogramm Körpergewicht gegeben. „Manchmal auch weniger, bisher wird dies noch immer am TSH-Spiegel eingestellt.“

Arzt hält eine Umwandlungsstörung der Schilddrüse für eher selten

Eine Umwandlungsstörung von T4 in T3 kommt laut Wirth eher selten vor. „Das habe ich in meiner Praxis bisher etwa zwei- bis dreimal gesehen, dann muss eben ein Kombipräparat aus T4/T3 gegeben werden.“ Dass die Patienten mit Schilddrüsen-Unterfunktion zu hoch dosiert werden, könne er als Hausarzt so nicht sehen, zumal dies in den vergangenen zehn Jahren eher nach unten korrigiert worden sei.

Da es Schilddrüsen-Erkrankungen gebe, die mit wechselnder Funktionslage einhergehen – so auch Hashimoto –, werde der Status des Organs im Abstand von ein bis zwei Jahren überprüft und per Sonografie nachgeschaut. Wirth empfiehlt dringend jodhaltige Nahrung, wie etwa durch Fisch.

Warum sind Frauen anfälliger?

Häufigkeit
Nach Studien treten Schilddrüsen-Erkrankungen bei Frauen rund zehnmal häufiger auf als bei Männern. Als Hauptgrund wird das komplexere Hormonsystem genannt, das anfälliger für Störungen sei, aber auch eine größere Bereitschaft bei Frauen zur Vorsorge-Untersuchungen.

Ereignisse
Zu größeren Hormonumstellungen kommt es durch Veränderungen im Zuge der Entwicklung, etwa durch das Einsetzen der Menstruation, durch Geburten oder in den Wechseljahren. Bei Männern werden Jodmangel, die Einnahme bestimmter Medikamente, eine Entzündung der Schilddrüse oder eine angeborene Unterfunktion als Ursachen bezeichnet.