Der Kommunale Ordnungsdienst untersagt Anwohnern in der Heidelberger Altstadt, vor ihren Häusern zu sitzen (Symbolbild). Foto: imago//Westend61

Jahrzehntelang hat es niemanden gestört, nun werden Anwohner in der Heidelberger Altstadt von der Gasse gescheucht. Der Kommunale Ordnungsdienst verbietet ihnen, vor ihren Häusern zu sitzen. Der Ärger darüber ist groß. Was steckt dahinter?

Heidelberg - Ende Juni hatten sich erstmals Anwohner in der Altstadt über den Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) geärgert, der ihnen das Sitzen vor der Haustür untersagte. Nun geht der Klappstuhl-Krach in die zweite Runde: Anwohner in der Pfaffengasse wurden gleich an zwei Tagen hintereinander vom Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) von der Gasse gescheucht, wie die Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) am Mittwoch berichtete.

Die Argumente: Man wolle kein „Biergarten-Chaos“ in der Stadt etablieren, es dürfe grundsätzlich nichts die Gehwege blockieren, Rettungswege müssten frei bleiben und die Menschen sollten sich nicht daran gewöhnen, dass das Sitzen auf den Gehwegen geduldet würde. Nun kann bei einer Handvoll Rentner, die freitagabends ein Glas Wein vor der Haustür trinken, von „Biergarten-Chaos“ keine Rede sein, einen Gehweg gibt es dort nicht und das Sitzen vor der Haustür hat jahrzehntelang niemand gestört.

Zum ersten Mal kam der KOD an einem Freitagabend gegen 21 Uhr. „Da saßen wir hier zu viert“, berichtet Peter Baust. Selbst die Personalien seien aufgenommen worden. Am Folgetag saß er allein vor der Tür und prompt schaute der KOD wieder vorbei und untersagte ihm das. Sein Vater, Kurt Baust, ist 104 Jahre alt. Er ist der älteste Einwohner Heidelbergs und sitzt ebenfalls gern vorm Haus in der Pfaffengasse. Dass er das nun nicht mehr darf, ist ihm unbegreiflich. Seit seinem 17. Lebensjahr wohnt Kurt Baust „im schönsten Haus der Altstadt“, wie es Eveline Mrosek nennt. Sie ist ebenfalls Anwohnerin der Altstadtgasse, in der auch das Geburtshaus von Friedrich Ebert steht.

Der älteste Einwohner Heidelbergs sitzt gerne vor seinem Haus

Tatsächlich ist das Gebäude eine Augenweide: Blumenkästen mit wunderschönen Kakteen schmücken die Fassade, Sandsteinkübel rechts und links der schmucken Haustür sind üppig bepflanzt.

Zwischen jene Kübel platziert Peter Baust normalerweise das schmale Tischchen samt Stuhl. Schon nach dem Krieg habe seine Mutter hier gesessen und Kartoffeln geschält, berichtet Peter Baust kopfschüttelnd und hilft seinem Vater, kurz für das RNZ-Foto Platz zu nehmen, danach werden Tisch und Stuhl rasch wieder nach drinnen geräumt. Minuten später kommt eine Gästeführerin mit einer Gruppe Touristen vorbei. „Oh, müsst ihr jetzt drinnen sitzen?“, fragt sie enttäuscht. Mrosek nickt. „Die Gästeführer kommen hier eigentlich auf jeder Tour vorbei. Weil es so schön ist“, sagt sie.

Die parkenden Autos sind fast doppelt so breit wie Kübel und Tisch

Für die Anwohnerinnen und Anwohner, die an diesem Nachmittag zusammengekommen sind, ist das Verhalten von Stadt und KOD blanker Hohn. Seit über 20 Jahren stehen die Blumenkübel vor dem Haus. „Damals war das von der Stadt explizit gewollt, damit keine Autos dort parken“, berichtet Peter Baust. Nun hat er Sorge, dass sich die Stadt das anders überlegen könnte, er bald auch die Kübel wegräumen muss. Das wäre die logische Konsequenz, denn sein kleines Tischchen ist kein Stück breiter.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Anwohnerparken soll zum Teil zehn Mal teurer werden

Die Argumentation der Stadt, dass die Rettungswege frei bleiben müssten, ist ihm ein Rätsel. Schließlich sind die parkenden Autos fast doppelt so breit wie das idyllische Ensemble. Selbst die Müllabfuhr kommt problemlos durch – sie wird allenfalls behindert, weil gerade wieder jemand einen E-Roller achtlos in der Gasse abgestellt hat. An jenem Nachmittag sind es gleich zwei. Am meisten ärgern sich die Anwohner aber über das – wie sie finden – Messen mit zweierlei Maß von Stadt und KOD.

Die nächtlichen Krawalle am Wochenende müssen die Anwohner ertragen

Bis 5 Uhr in der Frühe leben sie an den Wochenenden mit Gegröle und Geschrei. Ihre Hauseingänge werden als Toiletten missbraucht, sie entfernen Erbrochenes und fegen Massen von Scherben weg. „Obwohl wir auch für die Straßenreinigung bezahlen“, wirft Peter Baust ein. All das werde von der Stadt geduldet und auch die Anwohner ertragen es zähneknirschend – es bleibt ihnen schließlich nichts anderes übrig.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Rücksichtslose Kneipengänger nerven Anwohner

„Seit Jahren leiden wir unter Lärm, Schmutz, Krawall und schlaflosen Nächten. Anstatt aber die Täter zu bestrafen, bestraft die Stadt neuerdings die Opfer. Diejenigen also, die ohnehin schon unter der Situation leiden und nichts zum Krawallverhalten der Feierlustigen beitragen“, sagt Mrosek. Ihrer Meinung nach sei das „hilfloser Aktionismus und ein Ablenkungsmanöver, um den Eindruck zu erwecken, man tue etwas“.