Ende Juni lassen Dagersheimer die Vergangenheit auf besondere Weise aufleben. In ihrem Musical „Stell dir vor…“ geht es auch um brave und weniger brave Vorfahren.
In 950 Jahren ist viel passiert. Alles davon kann nicht erzählt werden im Musical zum Dagersheimer Ortsjubiläum – aber ein wenig: Fünf Geschichten, die für die Geschichte des Böblinger Teilortes stehen, kommen auf die Bühne, wenn die Bürger auf dem Dorfplatz spielen. Von Dagersheimern, die über sich hinauswuchsen, die im Ort in Erinnerung blieben für großen Mut, Erfindungsgabe, Originalität, Charakter soll das Stück handeln. Die Proben finden statt im Haus der Vereine. Dort steht, zehn Tage vor der großen Premiere, ein kleiner Brunnen. Und am Brunnen stehen drei Dagersheimer „Schwätzweiber“. Die kennen sich aus, die haben etwas zu erzählen.
Die Weiber stehen am Brunnen, um sich Wasser zum Suppekochen zu holen; derweil plätschert der Dorftratsch frisch zwischen ihnen hin und her. Es geht bald um den neuen Schulmeister, der kommen soll. Er heißt Emmanuel Gottlieb Kolb. „Geboren isch er in Schönaich.“ – „Was, Schönaich? Was kann von da schon Guts herkomma!“
Der Mut eines Dagersheimers
Kolb war jedoch in der Tat ein Guter, ist den Dagersheimern bis heute in Erinnerung als Ehrenbürger ihrer Gemeinde. Das Amt teilt der sich nur mit Marie Ziegler, im Ort bekannt als Schwester Marie. Sie träumte von einem anderen Leben, an der Seite ihres Verlobten – der Verlobte jedoch starb im Krieg, und seine Braut wurde zur Schwester Marie, entschloss sich, ihr Leben dem Wohl ihrer Mitmenschen zu widmen, begründete die Krankenpflege in Dagersheim.
Sie ist es auch, die die fünf Geschichten erzählt, aus denen das Jubiläumsmusical der Dagersheimer besteht – ihre eigene, die von Emmanuel Gottlieb Kolb, die von Andreas Stück, dem Tunichtgut, der gegen die Erzherzogin Mechthild spottete, von ihr vor Gericht gestellt werden sollte, die Flucht ergriff, dessen Spur sich verlor. Die des Alemannenfürsten Tagheri, auf den die Gründung des Ortes mutmaßlich zurückgeht, und schließlich die Geschichte des Ernst Ruthard, eines einfachen Bauern, der bei Kriegsende den französischen Truppen mit einer weißen Fahne entgegenging, ohne ein Wort ihrer Sprache zu kennen. Seinem Mut, dies glauben die Dagersheimer, verdanken sie es, dass ihr Ort nicht zerstört wurde.
Andreas Stück „war kein Braver“
„Stell dir vor…“ – so heißt das große Jubiläumsmusical. Margit Hartmann hat den Text geschrieben. Sie stammt aus Dagersheim, lebt in Darmsheim und war zuvor schon als Autorin beteiligt an einem Kindermusical. Das Thema, das sie dem dorfhistorischen Singspiel gab, ist die Ambition der Bürger, die Besonderes leisten für ihren Ort. Eine Aufforderung soll das Musical sein, an die heutigen Dagersheimer, es ihnen gleich zu tun: „Stell dir vor… was passiert, wenn du dich einbringst.“ Natürlich gibt es dabei eine Ausnahme: Andreas Stück, der eher für Unruhe sorgte, Schulden machte, den elterlichen Hof belastete, die Majestät beleidigte und dann das Weite suchte, soll keinem als Vorbild dienen. „Er war kein Braver“, sagt die Autorin. „Er hat auch nichts für Dagersheim geleistet. Aber als historische Figur hat er mich fasziniert.“
Die Arbeit an „Stell dir vor…“ begann im Februar 2024. Eine Projektgruppe wurde gegründet, mit dem Ziel, ein Ereignis zu schaffen, in das möglichst viele Dagersheimer Bürger, Gruppen, Vereine miteingebunden werden konnten. „Wir wollen dem Trend zur Vereinzelung entgegenwirken“, sagt Reintraud Schunn, die gemeinsam mit Wolfgang List Regie führt. Die Musik stammt von Daniel Schunn, dem Sohn der Regisseurin. Er lebt als Pianist, Musiklehrer, Komponist bei Hannover, wird bei den Aufführungen des Musicals und seiner Generalprobe zugegen sein, und er schneiderte Dagersheim, den Geschichten, Stimmungen, Zeiten des Ortes, alle Lieder höchst sensibel auf den Leib.
Die Schwätzweiber lästern am Brunnen
Die Integration möglichst vieler Dagersheimer ins Großprojekt gelang unter diesen Voraussetzungen vorzüglich. 26 Rollen erscheinen im Spiel, sind doppelt besetzt; die Feuerwehr-Musikkapelle, der Harmonika-Club, der Liederkranz, der Posaunenchor – sie alle sind mit dabei. Die süddeutsche Gemeinschaft besorgt die Verköstigung, etliche Dagersheimerinnen und Dagersheimer kümmern sich um Styling und Technik, Kostüme und Requisiten. Mehr als 200 Personen engagieren sich in und um das Musical.
Und die Dagersheimer „Schwätzweiber“ natürlich in ganz besonderem Maße. Sie stehen immer noch am Brunnen im Haus der Vereine und lästern mit Herz und Seele und im breitesten Dialekt. Der Schulmeister Kolb, dies wird sich dann schon in der nächsten Szene zeigen, ist dabei ein feiner Mensch, fromm und bescheiden. „Ein leidenschaftlicher Pädagoge, der seiner Zeit weit voraus war“, wie die Zuschauer von Barbara Fritsch erfahren, die als Erzählerin durch das Musical führt. „Und außerdem sehr gastfreundlich. Gerade kommt er von einer Exkursion mit seinen Schülern in die Natur zurück.“ Und er tritt ein, und er singt, nicht leise, aber herzlich: „Das Wandern ist das Müllers Lust!“
Drei Termine fürs Jubiläums-Musical
Termin
„Stell Dir vor“, das Dagersheimer Jubiläums-Musical, wird am Freitag, 27. Juni, um 19 Uhr und am Samstag, 28. Juni, um 15 und um 19 Uhr auf dem Dagersheimer Dorfplatz aufgeführt. Daniel Schunn schrieb Musik und Songs, Margit Hartmann den Text. Reintraut Schunn und Wolfgang List führten Regie. Die Feuerwehr-Musikkapelle Dagersheim, der Harmonika-Club, der Liederkranz und der Posaunenchor des Ortes leisten musikalische Beiträge.
Tickets
Karten sind im Vorverkauf der Plattform Reservix bereit seit dem 14. April erhältlich. Reservierungen sind noch bis Freitag, 27. Juni, 12 Uhr möglich. Einlass wird, sofern noch Karten verfügbar sind, auch über eine Abendkasse möglich sein. Die vollständige Besetzung des Stückes kann unter dagersheim.boeblingen.de eingesehen werden.