Fortschrittliches Kino von 1931: Dorothea Wieck (li.) und Hertha Thiele in „Mädchen in Uniform“. Foto: Deutsche Film-Gemeinschaft/Archiv

Der erste Film über eine lesbische Liebe kam aus Deutschland. Vor 90 Jahren feierte „Mädchen in Uniform“ Premiere. Das Remake mit Romy Schneider knapp 30 Jahre später war verdruckster.

Potsdam - Es ist die Geschichte einer unerfüllten Liebe im strengen Preußen. Am 27. November vor 90 Jahren hatte das Internatsdrama „Mädchen in Uniform“ von Leontine Sagan Premiere. Darin verliebt sich die 14 Jahre alte Halbwaise Manuela von Meinhardis in ihre Erzieherin Fräulein von Bernburg. Der frühe Tonfilm in Schwarz-Weiß übt deutlich Kritik an „deutscher Zucht und Ordnung“. Thomas Manns Tochter Erika Mann wirkte in einer Nebenrolle mit. In der Kinogeschichte gilt Sagans Werk als erster reiner Frauenfilm und als erster Lesbenfilm.

„Sein Thema: die Erziehungsmethoden in einem Stift für adlige Mädchen, die ,Soldatenkinder’ sind und wieder ,Soldatenmütter’ werden sollen“, fasste der Soziologe und Filmtheoretiker Siegfried Kracauer kurz nach der Uraufführung zusammen.

Erziehung mit Drill

Die gefühllose Oberin („Wir Preußen haben uns großgehungert“) führt das Mädcheninternat mit militärischem Drill, lässt Briefe kontrollieren und droht gerne damit, den Ausgang aus der Erziehungsanstalt zu verbieten.

Viele kennen den in Potsdam spielenden Stoff aus der Verfilmung des ungarischen Regisseurs Géza von Radványi. In dessen Version von 1958 spielt Romy Schneider die Schülerin und Lili Palmer die angehimmelte Lehrerin. Während diese beiden Schauspielerinnen 24 Jahre Altersunterschied hatten, waren die Hauptdarstellerinnen des Jahres 1931 - Hertha Thiele und Dorothea Wieck - derselbe Jahrgang. Wieck kam 1908 gerade einmal vier Monate früher als Thiele zur Welt.

Weniger verdruckst als das Remake

Im Vergleich hinterlässt dennoch das im Sommer 1931 gedrehte Werk einen bleibenderen Eindruck als der Film von 1958. Das Original wirkt mutiger, verhandelt Frauenliebe offener als das 50er-Jahre-Remake. Es gibt sogar eine schüchterne Kuss-Szene.

Ein Satz, den die verständnisvolle Erzieherin der schwärmenden Schülerin sagt, lautet aber auch: „Du darfst mich nicht ,so’ liebhaben.“ Zur strengen Direktorin sagt die Lehrerin: „Was Sie Sünde nennen, das nenne ich den großen Geist der Liebe, der tausend Formen hat.“ Außerdem: „Ich kann es nicht mehr mitansehen, wie Sie aus diesen Kindern verängstigte hilflose Geschöpfe machen.“

Der Film belegt, dass Deutschland erst spät - wohl ab den 70ern, vielleicht sogar erst heute - wieder Anschluss an seine kulturelle Blütezeit der Weimarer Republik fand, in der es vergleichsweise wenig Verdruckstheit und schon erstaunlich diverse Erzählungen gab.

Realität und Fiktion

„Eine der vorzüglichsten Leistungen des frühen deutschen Tonfilms und zugleich ein seltenes Beispiel für weibliche Filmregie: feinfühlig psychologisiert, aufrichtig gespielt, präzis in der Milieuzeichnung“, analysierte einst das „Lexikon des internationalen Films“.

Die in Budapest geborene Regisseurin Sagan (1889-1974) arbeitete eng mit der Autorin des Stoffs, Christa Winsloe (1889-1944), zusammen. Der Film beruht auf deren Theaterstück „Ritter Nérestan“ von 1930 (später mit dem Titel „Gestern und heute“ aufgeführt). Winsloe arbeitete darin ihre Jugendjahre als Zögling im Kaiserin-Augusta-Stift in Potsdam literarisch auf. Bereits 1932 emigrierte Sagan zunächst nach England, später dann nach Südafrika.

Im Film sind feine Dialoge und Details zu entdecken. So wird die von ihrer strengen Tante („Mache deinem Vater keine Schande“) ins Internat gebrachte Offizierstochter Manuela gleich von Mitschülerin Inge vor dem begehrenswerten und auch geheimnisvollen Fräulein von Bernburg und deren Charme gewarnt: „Na, da verliebe dich mal nicht.“

Starfotos im Mädchenspind

Eine Mitschülerin hat im Schrank heimlich Bilder von Kinostar Hans Albers hängen („Wie nennt man denn das, was die Leute beim Film alle haben?“, „Sex Appeal, nich?“). Als die Oberin mal wieder eine Ansprache hält, flüstern die Mädchen: „Stellt sie euch bloß mal nackt vor.“ Als Manuela nach einer Schultheateraufführung - beschwingt vom Erfolg und von Bowle - vor fast der gesamten Schule gesteht, Fräulein von Bernburg zu lieben, kommt es zum Eklat.

Das Mädchen soll isoliert werden und die Oberin macht Frau von Bernburg für das Geschehen verantwortlich. Verzweifelt versucht Manuela, sich im hohen Treppenhaus das Leben zu nehmen. Ihre Mitschülerinnen wenden den Sprung im letzten Moment ab. „Die Kinder haben ein Unglück verhindert, an dem wir beide unser Leben lang getragen hätten“, sagt von Bernburg.

Übrigens: Als erster schwuler Film der Filmgeschichte gilt „Anders als die Andern §175“, ebenfalls ein deutsches Werk (Drehbuch: Richard Oswald und Magnus Hirschfeld). Er kam schon 1919 heraus, also zwölf Jahre vor „Mädchen in Uniform“.