Nicht nur mit der Drucklufttröte attackiert Tony (Ricky Gervais) andere Menschen. Foto: Netflix/Ray Burmiston

In der Netflix-Serie „After Life“ ließ Ricky Gervais seine Figur Tony zwei Staffeln lang durch Höhen und Tiefen gehen. In Staffel 3 ist er nun bitter wie nie.

Stuttgart - So angepisst, müde und hoffnungslos, wie der Provinzjournalist Tony Johnson seinen Tag beginnt, wollen andere nicht mal nachts ins Bett fallen. Selbst Tonys Klamotten hängen lustlos an ihm herum, wenn er ins Redaktionsbüro des Gratisblättchens „Tambury Gazette“ schlurft. Er frisst die Verbitterung nicht in sich hinein, er lässt seine Mitmenschen sehr aggressiv daran teilhaben.

Das bekommt sein Chef, der zugleich Tonys Schwager ist, gleich in der ersten Folge der dritten Staffel von „After Life“ zu spüren, als er das wandelnde Leck-mich-doch-Denkmal auf einen abendlichen Drink zuhause einlädt. Man kann das im weitesten Sinne noch für Konversation halten, was der Witwer Tony da betreibt, aber dann hält man wohl auch das Absengen von Augenbrauen mit dem Bunsenbrenner für einen geeigneten kosmetischen Kniff.

Tony ist jetzt ein anderer

Moment mal, werden sich jetzt viele fragen, die „After Life“ schon kennen: Wir haben die vom bissigen britischen Komiker Ricky Gervais erfundene und gespielte Figur Tony zwar zwei Staffeln und zwölf Folgen lang durch Tiefen und Fehlleistungen hindurch begleitet. Aber wir fanden diesen Mann, der über den Tod seiner Frau nicht hinweg kommt, immer auch rührend. Am Schluss der zweiten Staffel hatte er auch Aussicht auf ein neues Glück. Er hatte die Altenpflegerin Emma (Ashle Jensen) kennengelernt. Die schlimmste Phase der Abkapselung schien vorbei zu sein.

Und nun? Geht Tony schlimmer in die dritte Staffel, als wir ihn je erlebt haben, ist so biestig zu Emma, dass man ihn ohrfeigen möchte. Folglich hat „After Life“ ein Problem. Früher konnte Tony einfach nicht anders. Jetzt aber ist er entweder sehr willentlich verletzend, weil das einfacher bequemer für ihn ist. Dann kann man ihm kaum noch mögen. Oder er ist ernsthaft klinisch depressiv, dann übersteigt das die Möglichkeiten dieser satirischen Verdrehung einer Heile-kleine-Welt-Serie, die in jeder Staffel Folge um Folge doch erkennen ließ, dass wir uns in einem Märchen befinden. Man muss nur mal schauen, wie viele Menschen da im Schneckentempo in der Redaktion eines Anzeigenblättchens herumwerkeln, das kaum einen Ein-Mann-Herausgeber-Reporter-Layouter ernähren könnte.

Die Stunde des Dreckschmeißers

Tony schreibt Geschichten über lokale Nichtprominente, dauerscheiternde Kleinkünstler oder betagte Opfer von Trickdieben. Tonys Kollegen, die Menschen, die er bei der Arbeit trifft, ja, selbst sein Postbote sind ziemlich traurige Gestalten, unglückliche Außenseiter, die ihre Leben nicht in den Griff bekommen. Das war immer grenzwertig, in der Gefahr, ein mit niederträchtiger Schaulust durchschweiftes Panoptikum zu werden. Und die dritte Staffel erliegt dieser Gefahr: Ricky Gervais demütigt einige der Figuren, die er sich ausdenkt.

Zugegeben, wenig andere Komiker wagen sich so weit in die Risikozone wie Gervais. Ob in „The Office“, dem Vorbild für „Stromberg“, oder in „Extras“, Gervais präpariert die unsympathischen Charakterzüge von Figuren heraus, die Schwächen und Fehler, schafft so im guten Fall wunderbar ungeschminkte und erheiternd verzerrte Porträts. Im schlimmsten Fall aber steht er einfach als Dreckschmeißer da. Was ihm ja auch schon im echten Leben passiert ist.

Zum Schämen mitleidlos

Fünf mal hat Gervais die Golden Globes moderiert, mit einer über weite Strecken angenehmen Respektlosigkeit gegenüber den anwesenden Starts und Sternchen. Aber immer waren auch Gags dabei, die in dieser Härte und diesem Zusammenhang – weil die Angepflaumten sich im Rahmen der Gala nicht wehren konnten und gute Miene zum bösen Spiel machen mussten – ungehörig wirkten.

Die dritte Staffel von „After Life“ scheint anfangs von einem Ricky Gervais in bitterster Laune geschrieben und inszeniert zu sein. Bei manchen Szenen möchte man wegschauen, so zum Schämen mitleidlos sind sie. Es gibt noch immer herrlich komische Momente, es gibt die herzwärmenden Schlenker mitten in der Düsternis, die schon in den vorigen Staffeln erstaunt haben. Aber man hört jetzt auch eine nicht mehr gut genug geölte Uhrwerksmechanik quietschen.

Bitte nicht noch mal

Wenn Tony erneut, wie in den vorigen Staffeln, Abend für Abend alte Videos vom Glück mit seiner Frau schaut, wenn er die größte Nähe mit seiner knuffigen Schäferhündin erlebt, wenn er draußen in der Welt nach aggressiven Episoden spürt, dass er zu weit gegangen ist, und sich reuig bemüht, nun Gutes zu bewirken – dann ist das bereits ein wenig Tony-Klischee. Zum dritten Mal arbeitet er sich nun aus einem tiefen Lock nach oben, und so positiv gestimmt wie am Ende der dritten Staffel war er noch nie.

Man geht den Weg noch einmal mit, falls man ihn von früher mag, aber man fühlt sich dabei auch vom Drehbuch manipuliert. Nach den jeweils sechs Folgen der früheren Staffeln hätte man gerne gleich noch mehr aus dem Leben von Tony und den verkorksten Figuren um ihn her sehen mögen. Nach der dritten Staffel hofft man auf ein Ende, möchte die Leute von Tambury lieber nicht noch einmal treffen. Weil man fürchtet, dass beim nächsten Mal alles richtig entgleisen könnte und man dann wünschen würde, Tony nie begegnet zu sein.

After Life, Staffel 3. Alle sechs Folgen bei Netflix abrufbar.