1700 Quadratmeter Verkaufsfläche, nah beim Mitbewerber: Aldi ist in den ehemaligen Real in Böblingen eingezogen. Foto: Eibner/Roger Bürke

Der Discounter ist in den ehemaligen Real-Getränkemarkt im Gewerbegebiet Hulb eingezogen und teilt sich nicht nur den Parkplatz und die Einkaufswagen mit dem Mitbewerber Marktkauf.

Ein Aldi, zwei Eingänge. Wer die neue Filiale des Discounters auf der Hulb betreten möchte, hat die Auswahl: entweder den Haupteingang nehmen oder ein paar Meter weiter durch die großen Schiebebetüren bei Marktkauf gehen. Von dort aus gibt’s einen weiteren Zugang direkt in den Aldi-Kassenbereich. Am Donnerstagmorgen öffneten sich diese Türen zum ersten Mal. Aus dem ehemaligen Real-Getränkemarkt ist nach über einem halben Jahr Umbauzeit ein Discounter geworden.

Die großzügige Erschließung ist nicht das einzig Ungewöhnliche an Aldis jüngster Niederlassung. So groß wie dieser Laden ist kaum eine der knapp 2000 Filialen von Aldi Süd in Deutschland: 1700 Quadratmeter Verkaufsfläche warten auf die Kunden – nur am Bodensee und in Mülheim/Ruhr gibt es noch größere Läden.

Der Bebauungsplan aus den 1970er Jahren macht’s möglich

Am frühen Morgen um Sieben ist die Kundschaft noch spärlich unterwegs. Kälte, Schnee und Dunkelheit scheinen den Konsumdrang nicht gerade zu befeuern. So bleibt genügend Raum für Böblingens Oberbürgermeister Stefan Belz (Grüne), die Aldi-Filiale zu eröffnen. Der OB spricht von einem „guten Angebot“, das die Bürger der Region hier nun mit zwei Kaufläden in direkter Nachbarschaft erwarte. Er erwähnt aber auch, dass diese Konzentration von Warenangeboten an einem Standort fern der Innenstadt heutzutage nicht mehr genehmigt würde. „Sie profitieren von den Bebauungsplänen der 70er Jahre“, sagt er zu den Vertretern von Aldi Süd, die zur Eröffnung angereist sind.

Zwei Riesen unter einem Dach. Für diese Konsumgemeinschaft ist das Kartellamt verantwortlich. Als im vergangenen Jahr klar wurde, dass Edeka den zum Verkauf stehenden Real-Markt auf der Hulb erstehen möchte, machte die Bundesbehörde zur Auflage, dass der Branchenriese einen Teil der riesigen Verkaufsfläche an einen Mitbewerber abtreten muss. Mit Aldi war der Partner gefunden, der die Fläche des ehemaligen Getränkemarktes übernimmt. Der Discounter hat seine nur einige hundert Meter entfernte Filiale in der Otto-Lilienthal-Straße hierher verlegt und ist nun Tür an Tür mit der Edeka-Tochter Marktkauf. Diese betreibt hier seit Juni ebenfalls eine ihrer größten Niederlassungen im Südwesten.

Eine „Win-win-Situation“

Eine von oben verordnete Zwangsgemeinschaft zweier Giganten? „Nein“, sagt Sabine Karls, „wir ergänzen uns. Das wertet den Standort auf“. Die Aldi-Regional-Geschäftsführerin bezeichnet den neuen Markt als „Flaggschiff“ und die enge Nachbarschaft als „Win-Win-Situation“. In den Innenstädten biete sich aus Platzgründen eine solche Chance normalerweise nicht.

„Da wollten wir hin“, betont auch Andreas Grupp, der bei Aldi Süd für die Immobilienverwaltung verantwortlich ist. Für ihn ist die neue Adresse ein „Top-Standort“, den sein Unternehmen trotz der ungewöhnlichen Größe gerne betreibe. „Wir trauen uns das zu, wir haben die Kundschaft dafür“, betont er. Wie viel sein Unternehmen in die neue Adresse investiert hat, möchte Grupp nicht verraten. Kein Geheimnis macht der Aldi-Manager hingegen aus dem Verhältnis zum neuen Nachbarn. Das sei keineswegs von Konkurrenz geprägt, sagt er. Grupp nennt es „partnerschaftlich“. Vorbeigeschaut beim kleinen Eröffnungsrundgang am frühen Morgen hat daher auch Uwe Hagenlocher. Der leitet die Marktkauf-Filiale nebenan und nickt anerkennend: „Gut gelungen“, findet er den Auftritt des Nachbars, mit dem er sich ab sofort nicht nur den riesigen Parkplatz teilt, sondern auch die Beschilderung, die Bewerbung und die Einkaufswagen.

20 000 Schritte pro Arbeitstag

Ein Blick in die neue Aldi-Welt auf der Hulb zeigt, dass es hier an Platz nicht mangelt. Die Durchgänge sind breiter, die Gänge länger und die Decken höher geraten, statt vier Kassen warten sechs auf die Kundschaft. Größe, die auch neue Herausforderungen mit sich bringt: Fast doppelt so viel Fläche bedeutet auch mehr Personal. 35 Leute sind hier beschäftigt. „Das ist sehr, sehr viel“, sagt Filialleiterin Emmanuela Schenk. Um zehn Mitarbeitende hat das Unternehmen den neuen Standort erweitert. Auf die wartet jetzt nicht nur eine großzügige Filiale, sondern auch mehr Bewegung. Normal bewältigen Aldi-Verkäufer 10 000 bis 15 000 Schritte pro Arbeitstag. „Hier sind es nicht unter 20 000“, weiß Emmanuela Schenk.

Der Oberbürgermeister am Scanner

Für den Oberbürgermeister wird es ernst. Einer der Aldi-Leute hat ihm einen Mitarbeiter-Kittel besorgt. „Dann schauen wir uns mal den Kassenbereich an“, sagt Andreas Grupp. Kurze Zeit später ist Kasse 2 der Arbeitsplatz des Stadtchefs. Eine junge Dame schiebt als Erste ihren Wagen ans Warenband von Stefan Belz. Der zieht einen Wassersprudler, eine Tüte Süßigkeiten und jede Menge Wodkaflaschen über den Scanner. „Geburtstagsparty für meinen Mann“, erklärt die Kundin. 202 Euro lautet der erste Umsatz des OB. 30 Minuten später entlohnt Aldi seinen Kurzzeit-Mitarbeiter fürstlich. 5000 Euro gibt’s für den Einsatz – in Form eines Spendenschecks an den Hospizverein Böblingen /Sindelfingen.

Einst Riesen-Supermarkt nach US-Vorbild

Geschichte
 Im Oktober 1978 eröffnet die Böblinger Unternehmerfamilie Kriegbaum einen Multi-Center-Markt mit knapp 10 000 Quadratmetern Verkaufsfläche auf der Böblinger Hulb. Böblingen hat seinen ersten Riesen-Supermarkt nach US-Vorbild.

Verkauf
Die Familie Kriegbaum verkauft in den 1990er Jahren ihr Imperium aus bundesweiten Multi-Markt- und Multi-Center-Filialen an den Metro-Konzern, der sie in Real-Märkte umwandelt.

Hulb
Der Standort auf der Hulb wird der größte im Real-Reich mit 12 500 Quadratmetern Fläche und zuletzt 55 Millionen Euro Jahresumsatz – der Spitzenwert in Deutschland.

Zerschlagung
Die Metro trennt sich 2019 von der Real-Sparte. Edeka kauft den Böblinger Markt unter der Voraussetzung, einem Mitbewerber Flächen zu überlassen. Aldi mietet sich in den ehemaligen Getränkemarkt ein.