Johannes Bauernfeind, Chef der Südwest-AOK, weist darauf hin, dass das HZV-System auch kostensparend ist. Foto: dpa/AOK Baden-Württemberg/Thomas Kienzle

Das System der AOK-Hausarztverträge in Baden-Württemberg gibt es seit 15 Jahren. Nun präsentiert die Kasse eine wissenschaftliche Bilanz. Chroniker sind die Gewinner.

Als die AOK Baden-Württemberg vor 15 Jahren mit ihrem Konzept der „hausarztzentrierten Versorgung“ (HZV) startete, wurde das Modell durchaus mit einiger Skepsis verfolgt. Manche Ärztefunktionäre äußerten die Sorge, der neue Weg könne zu geringerer Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen führen. Manche Kassen wiederum stellten intern die Frage, ob sich der erhebliche Aufwand überhaupt lohne. Inzwischen sind die Zweifel verstummt. Am Montag stellte die AOK in Berlin die Ergebnisse wissenschaftlicher Begleitstudien vor. Das Ergebnis: Die Vorteile für HZV-Patienten sind eindeutig nachweisbar. Besonders chronisch Kranke, wie zum Beispiel Diabetiker, profitieren.

Was bedeutet eigentlich „hausarztzentrierte Versorgung“? Die Teilnahme daran ist freiwillig. Patienten, die sich in das Programm einschreiben, verpflichten sich, einen Hausarzt zu wählen, der mit der Kasse einen HZV-Vertrag geschlossen hat. Sie sagen ferner zu, Fachärzte nur auf dessen Überweisung hin aufzusuchen. Der Hausarzt dient also als Lotse durch das Gesundheitswesen. Teilnehmende Ärzte müssen besondere Qualitätsanforderungen erfüllen, so müssen sie bindend an Fortbildungen und Qualitätszirkeln teilnehmen, in denen sie mit anderen Berufskollegen Erfahrungen austauschen. Dafür sind sie bei der Honorierung nicht an Budgets gebunden, jeder Fall im Rahmen der HZV wird von der Kasse übernommen. Im Rahmen dieses Programmes werden im AOK-Rahmen 1,78 Millionen Versicherte von 5400 Ärzten und Ärztinnen betreut.

Zielgenauere Steuerung durchs Gesundheitswesen

Die Einführung des Programms war von Anfang an wissenschaftlich begleitet worden. Diese Evaluation zeigt nun, dass wesentliche Ziele tatsächlich erreicht worden sind. Nach einer Auswertung der Professoren Joachim Szecsenyi und Gunter Laux, die am Universitätsklinikum Heidelberg für Versorgungsforschung zuständig sind, hat sich ergeben, dass es in der HZV signifikant mehr Hausarztkontakte und pro Patient und Jahr immerhin im Schnitt 1,5 weniger unkoordinierte, also nicht mit dem Hausarzt besprochene Konsultationen von Fachärzten als in der Regelversorgung gibt. Das deutet darauf hin, dass die HZV zielgenauer steuert und unnötige Arztbesuche verringert. Dabei arbeitet sie mit geringeren Kosten. AOK-Chef Johannes Bauernfeind sagte, dass „die jährlichen Kosten pro Patienten um rund 40 Euro niedriger liegen als bei einem vergleichbaren Versicherten in der Regelversorgung“.

Die HZV bringt aber auch ganz handfesten gesundheitlichen Nutzen. Das zeigen die Ergebnisse der Modellrechnungen des Institutes für Allgemeinmedizin der Uniklinik Frankfurt, die am Montag von Professor Ferdinand Gerlach vorgestellt wurden. „Wir sehen zum Beispiel bei Diabetikern signifikant weniger schwerwiegende Komplikationen und sogar eine längere Lebenserwartung“. Gerlach präsentierte Modellhochrechnungen, wonach bei 119 000 an der HZV teilnehmenden Diabetikern von 2011 bis 2020 im Vergleich zur Regelversorgung „über 11 000 schwerwiegende Komplikationen vermieden werden“ konnten. Im Einzelnen listet die Analyse unter anderem 2251 weniger Schlaganfälle, 2792 weniger Herzinfarkte, 633 weniger Amputationen und 1450 weniger Todesfälle auf. Als einen Grund vermutet Gerlach, die in der HZV um 20 Prozent höhere Teilnahme von Patienten an sogenannten „Disease-Management-Programmen“, also besonders spezialisierte Behandlungsprogramme für Chroniker.

In der Pandemie bewährt

Gerlach weist darauf hin, dass diese Unterschiede zur Regelversorgung nicht statisch sind. „Es ist bemerkenswert, dass sich die Qualitätsschere zwischen HZV und Regelversorgung von Jahr zu Jahr zugunsten der HZV öffnet“, sagte er am Montag. Das habe sich auch unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie gezeigt. Hochrechnungen für das Pandemiejahr 2020 hätten eine Wert von „35 000 Influenza-Impfungen mehr und rund 6500 weniger Verordnungen potenziell inadäquater Medikamente“ ergeben.