Bei freiem Eintritt ist das Sindelfinger Schauwerk bei der Museumsnacht traditionell ein Publikumsmagnet. Aktuell gibt es dort den Buchstabenregen von Chiharu Shiota. Foto: Eibner// Bürke

Für Böblingens Kulturamtsleiter Peter Conzelmann wird es die letzte, für seinen Sindelfinger Amtskollegen Markus Nau die erste Lange Nacht der Museen in verantwortlicher Position. Nach schwierigen Corona-Jahren geht die 20. Auflage wieder in die Vollen – inklusive mittelalterlicher Fluch- und Pöbelkunde.

Die beiden Nachbarstädte Böblingen und Sindelfingen veranstalten am Samstag, 12. November, zum 20. Mal eine Lange Nacht der Museen. An 16 Räumen und Orten zeigen städtische und private Einrichtungen, was die Kulturszene der beiden Städte zu bieten hat. Rund um die Ausstellungen gibt es von 18 Uhr bis Mitternacht jede Menge Musik, Performance, feine Kulinarik und mehr zu genießen. Wer möglichst viele Eindrücke mitnehmen will, kann dafür einen Shuttlebus nutzen.

Abschied und Anfang Die beiden Kulturamtsleiter Peter Conzelmann und Markus Nau gehen diese 20. Museumsnacht unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen an. Für Peter Conzelmann, der seinen Dienst im Böblinger Kulturamt im April 2006 angetreten hat, wird es ein Abschied. Seine Amtszeit endet demnächst. Für Markus Nau, der im Sommer die Nachfolge von Horst Zecha angetreten hat, ist es zwar bei Weitem nicht die erste Beteiligung an der Museumsnacht. Diesmal ist der ehemalige Stadtmusikdirektor jedoch als Gesamtleiter auf Sindelfinger Seite nicht nur für einzelne Angebote, sondern für das große Ganze zuständig.

Lanamu geht aufs Ganze Nach der abgespeckten Corona-Version der Langen Nacht der Museen (Lanamu) im Vorjahr soll die Kultursause in diesem Jahr nahezu wieder im gewohnten Umfang stattfinden. „Wir gehen all in “, bestätigt Markus Nau auf Nachfrage – ohne Plan B für verschärfte Pandemiemaßnahmen. Die Einschränkungen haben eher mit ortsspezifischen Gegebenheiten zu tun. So verhindert in Böblingen die Baustellensituation auf dem Marktplatz sowohl die geplante Abschlussveranstaltung des Martinsumzugs als auch die traditionelle Lichtinstallation zur Museumsnacht. Apropos Licht: Bei der Museumsnacht machen die Städte in Sachen Stromspargebot eine Ausnahme, weswegen unter anderem Böblingens Zehntscheuer und die Sindelfinger Martinskirche in hellem Licht erstrahlen werden.

Mord und Cocktails In Böblingen lohnt sich an diesem Abend ein Besuch in der Zehntscheuer. Das Bauernkriegsmuseum präsentiert hier ab 19 Uhr kindgerecht Hintergründe und Beweggründe zum Bauernkrieg. Anschließend können die kleinen Gäste eigene Ideen zum Thema Freiheit und Gerechtigkeit mit Federkiel und Wachssiegel zu Papier bringen. Zu vorgerückter Stunde, ab 23 Uhr, startet die neue Museumsleiterin Lea Wegner dann das „Erwachsenenprogramm“. Unter dem Motto „Von Fluchen und Pöbeln, Plündern und Mord“, geht es in einer Führung um Strafen und Verbrechen im 16. Jahrhundert. Ebenfalls in Zehntscheuer befindet sich die Städtische Galerie. Hier läuft seit Mitte Oktober die Ausstellung „Böblinger Bilderbogen“ mit sehenswerten Stadtansichten von Reinhold Nägele und Fritz Steisslinger. Passend zu diesen 20er-Jahre-Impressionen lädt Galerieleiterin Corinna Steimel im Museums-Foyer in der „Babylon Böblingen“-Bar zu Cocktails und Jazz-Musik von Grammophon und Schellackplatten.

Fleischeslust und Superlative „Die größte Museumsnacht ever“ kündigt Christian Baudisch in aller Bescheidenheit für „sein“ Haus an. Es habe sich „einfach so ergeben“, erklärt der für seine gerne mal abseitig-schrägen Konzepte bekannte Leiter des Deutschen Fleischermuseums, wie es zu dem prallvollen Programm auf allen fünf Stockwerken gekommen ist – darunter die Sonderausstellung „Utopiekollisionen“ mit Arbeiten der Klasse von Judith Samen. Weitere Kostbarkeiten verspricht unter anderem Mai Gogishvilis Installation „Als eine Kuh das Dönerversum erfand“ und Uwe Bücheles Kunstwerk namens „The German Butcher Museum. Ain’t no other place like that“. Ach ja . . . und dann wäre da natürlich noch die „Geheime Super-Sonder-Wunder-Schau“ im 1. Stock, über die Baudisch aber noch nichts verraten will.

Böblinger Kulturmeile Einen Besuch wert sind auch die übrigen Böblinger Stationen – darunter die Schacher-Galerie auf dem Marktplatz, Marinus van Aalsts „Erinnerungsräume“ auf dem Alten Friedhof, die historische Scheune in der Unteren Gasse, die Stadtkirche mit Kunst, Lesung und Orgelmusik sowie das Kulturnetzwerk Blaues Haus mit Kunst von Alfredo Pucci und jazziger Kammermusik mit Christoph Sauers spannenden Youkali-Projekt. Im Alten Amtsgericht präsentiert der Kunstverein Böblingen seine neue Ausstellung „Ja! Kunst muss man nicht verstehen – das Bekenntnis zum roten Punkt“. Außerdem stellt Brigitte Straub ihre „Quer-Schnitte“ aus und der Nachwuchs der Böblinger Musikschule spielt im Theatersaal seine Jazz-Favoriten.

Kunst geht durch den Magen Mit italienischen Leckerein von Marisas Delikatessen aus Waiblingen wird das Fleischermuseum sicher eine der ersten Anlaufstationen für hungrige Gäste sein. In Böblingen verwöhnt zum Beispiel das „Kultourmacher“-Küchenteam um Erika Winograd die Gäste im Alten Amtsgericht und im Atelierhaus in Sindelfingen sorgen edle Tropfen vom Bioweingut Schmalzried und die dazu gereichten Happen dafür, dass bei Gastgeberin Sabina Hunger niemand einen solchen leiden muss.

Von Schauwerk bis Webereimuseum In Sindelfingen reicht die Bandbreite bei den Ausstellungen von progressiver Kunst von Ben Willikens und Chiharu Shiota im Schauwerk über eine Sonderausstellung über den „Wert des Textilen“ bis hin zu Stadtgeschichte und Kinderprogramm im Stadtmuseum. In der Galerie der Stadt Sindelfingen empfiehlt sich ein Blick in die Schau „What I like“, weil hier das städtische Personal seine individuellen Lieblingswerke aus dem Sammlungsbestand auswählen durfte. Sängerin Lisa Moll umrahmt die Kunstwerke mit „Klangbildern und Chansons“. In der Galerie im Oberlichtsaal holt Felix Sommer die wegen Corona ausgefallene Würdigung zu Veit Hellers 60. Geburtstag nach und im Atelierhaus zeigt die Fotosparte des Böblinger IBM Klubs ausgewählte Arbeiten.

Martinsritt und Martinskirche Damit der Martinsritt nicht wie zuletzt 2019 mit wesentlichen Programmpunkten der Museumsnacht kollidiert, findet dieser jetzt bereits um 18 Uhr statt. Noch früher, nämlich schon um 16 Uhr startet Bezirkskantor Daniel Tepper mit dem Chor-Konzert „Visionen des Diesseits – zwischen Freude und Zweifel“ in den Abend. Das Vokalensemble Cappella Nuova und weitere Instrumental-Solisten präsentieren Werke von Schütz und weiteren Komponisten in der noch immer leeren Martinskirche. Um 21 Uhr gibt es eine Wiederholung der laut Markus Nau „sehr ambitionierten“ Darbietung.

Zwischen Skepsis und Zuversicht „Die Leute kommen nicht in alter Stärke zurück“, stellt Markus Nau in der Folge der Pandemie bei Kulturveranstaltungen seit einiger Zeit eine spürbare Zurückhaltung des Publikums fest. Kulturmanager Andreas Wolfer, der die Museumsnacht auf Böblinger Seite verantwortlich mitorganisiert, zeigt sich dagegen zuversichtlich, weil die Lanamu im letzten Jahr trotz Einschränkungen und reduziertem Programm mit geschätzten 1500 Personen doch verhältnismäßig viel Publikum mobilisiert habe. Vor Corona waren es aber rund doppelt so viele Gäste. Wann die Kulturszene der beiden Städte wieder 3000 oder mehr Menschen nachts ins Museum locken kann, muss sich erst noch zeigen.

Eine Nacht, zwei Städte, 16 Locations

Programm
In Böblingen dauert die 20. Lange Nacht der Museen von 18 Uhr bis 24 Uhr, in Sindelfingen beginnt das Programm mit Ausnahme des 16-Uhr-Konzerts in der Martinskirche) um 18 Uhr und geht bis 23 Uhr. Ausführliche Infos finden sich im Programmflyer. Dieser liegt unter anderem in allen teilnehmenden Häusern aus oder ist über die Homepages der Städte Böblingen und Sindelfingen als Download erhältlich. sowie ausliegt

Shuttlebus
Eine kostenlose Busverbindung bringt das Publikum zu nahezu allen Stationen in Böblingen und Sindelfingen. Abfahrt in Böblingen ist jeweils zur halben und vollen Stunde vor dem Café Frechdax am Elbenplatz, in Sindelfingen immer zu Viertel- und Dreiviertelstunden bei der Galerie der Stadt am Marktplatz. edi